»I"" '^'i -J\ 'M. . '**• ■^ v^v ■^: UNIVtRSITY OF TORONTO LIBRARY m. Ä TRUBNERS PHILOLOGISCHE BIBLIOTHEK BAND 1 ABRISS DER DEUTSCHEN GRAMMATIK VON HANS SCHULZ PRIVATDOZENT AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG i. Br. STRASSBURG VERLAG TON KARL J. TRÜBNER 1914 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten. Druck vou M. DuMont Schauberg, Straßburg. ßemany Vorwort. Dieser Abriß will die wichtigsten Tatsachen der historischen Grammatik der deutsciien Spraclie zusammen- stellen, beschränkt sicli aber, nacii einer auch in unsern Vorlesungen häufigen Gepflogenlieit, auf Laut- und Formen- lehre. Er ist besonders für Studierende bestimmt, die sich in die verschiedenen Stufen des Altdeutschen bereits durch systematische Vorlesungen und eigene Lektüre der Denkmäler eingearbeitet haben und die jedenfalls mit den wichtigsten altgermanischeu Formeusystemen vertraut ge- worden sind. In dieser Voraussetzung habe ich auf viele nur deskriptive Angaben verzichtet und vor allem die Mitteilung von Paradigmen unterlassen. Der Anfänger, der etwa nach meinem Buch arbeitet, findet in den jedem Abschnitt vorangestellten Literaturübersichten die Gram- matikon der einzelnen Dialekte verzeichnet, aus denen er sich die hier vorausgesetzten Kenntnisse erwerben kann. Außer diesen Hilfsmitteln habe ich aber jeweils noch einige Werke angeführt, die ich dem Benutzer meines Buches zur Ergänzung und Fortsetzung seiner Studien empfehlen möchte. Denn selbstverständlicii kann ein der- artiger Abriß nur eine Auswahl der Probleme bieten und muß in ihrer Behandlung überall große Kürze erstreben. Ich habe besonders solche Spracherscheinungen behandelt, die an einer großen Menge von Worten zu beobachten sind, seltnere dagegen meist nicht berücksichtigt. In der Darstellung habe ich manches scheraatisch vereinfachen — VI — und daher einzelne Schwierigkeiten übergehen müssen; insbesondere habe ich bei strittigen Fragen immer nur eine Auffassung darstellen können, anderseits aber auch die vorgetragene Anschauung zumeist ohne Begründung lassen müssen. Um so mehr habe ich mich bemüht, den also eingeschränkten Stoff in klarer Formulierung darzustellen und die Durcharbeitung durch übersichtliche Anordnung zu erleichtern. Aber ich wollte nur ein Hilfsbuch zur ersten Einführung in die deutsche Grammatik schreiben und halte seinen Zweck für eifüllt, wenn es seine Benutzer zu eingehenderen germanistischen Studien anreizt und vorbereitet. Beim Lesen der Korrekturen haben mich Herr Dr. Rudolf Blümel in Freiburg und meine Schwester Marie Schulz in Gera so wesentlich unterstützt, daß ich ihre Hilfe hier mit bestem Dank erwähnen möchte. Herrn Professor Kluge in Freiburg und Herrn Professor Thumb in Straßburg danke ich für freundliche Auskunft in mehreren Einzelfragen. Freiburg i. B. im Juni 1914. Inhalt. Einleitung. Grundbegriffe der Phonetik 1 Abschnitt I. Urgermanisch. § 1. Idg. und germ. Akzent 9 § 2. Idg. und germ. Vokale 10 § 3. Ablaut 14 § 4f. Idg. und germ. Konsonanten 19 § 5. Grammatischer Wechsel 28 § 6. Auslautsgesetze 30 § 7. Deklination 35 § 8. Konjugation 45 Abschnitt II, Althochdeutsch. ■ § 9. Vokalismus 57 § 10. Konsonantismus - . . . 65 § 11. Lautveränderungen in unbetonten Silben . . 80 § 12. Flexion 88 Abschnitt III. Mittelhochdeutsch. § 13. Lautliche Veränderungen 99 § 14. Flexion 108 Abschnitt IV. Neuhochdeutsch. § 15. Lautliche Veränderungen 117 § 16. Flexion 126 Einleitung. Grundbegriffe der Phonetik. Literatur: Bremer, Deutsche Phonetik (1893). Jespersen, Elementarbuch der Phonetik (1912) — Lehrbuch der Phonetik (1904). Sicvers, Grundzüge der Phonetik (^ 1901) — Phonetik (in Pauls Grundriß der germanischen Philologie 1* 1901). Sütterlin, Die Lehre von der Lautbildung (1908). Für alle sprachlichen Betrachtungen, besonders schon für das Verständnis der sprachwissenschaftlichen Termino- logie, ist eine Kenntnis vom AYesen und von der Ent- stehung der Sprachlaute erforderlich. Das eigentliche Sprechmaterial ist der aus den Lungen hervorgepreßte Luftstrom, die Artikulation aber erfolgt durch Bearbeitung dieses Luftstroms durcii die Sprachorgane. 1. Die Sprachorgane und ihre wesentlichen Artiku- lationseinstellungen : a) der Kehlkopf mit den Stimmbändern: diese sind entweder in der Ruhelage (Atem-, Hauchstellung), oder gespannt (zur Stimmtonbildung), oder sie bilden einen Verschluß, bei dessen Lösung ein 'Knacklaut' hörbar werden kann (der Kehlkopfexplosivlaut als deutscher Vokaleinsatz). b) das sog. Ansatzrohr, d. h. der Mundraum und der Nasenraum. Beide wirken resonatorisch und geben dem von den Stimmbändern erzeugten Ton erst seine eigent- liche Klangfülle. c) das Gaumensegel (velum) mit dem Zäpfchen (uvula): durch Heben des Gaumensegels erfolgt Abschluß des Mundraums gegen den Nasenraum, der sonst reso- Schulz, Abriß der deutschen Grammatik. 1 2 natorisch mitwirkt. Durch Vibrieren des Zäpfchens ent- steht ein Zitterlaut (uvulares u). d) die Zunge hat durch ihre reiche Muskulatur die mannigfachsten Einstellungsmöglichkeiten. Sie kann dem Oberkiefer bis zur Engen- oder Verschlußbildung ange- nähert werden und zwar entweder den Zähnen, dem Zahn- damm (den Alveolen), dem harten Gaumen (palatum) oder dem weichen Gaumen (velum). Dementsprechend unter- scheidet man dentale (interdentale oder postdentale), alveo- lare, palatale und velare Zungenstellung. Die Zungenspitze kann aufgebogen werden (z. B. beim engl, r) und vibrieren (beim sog. Zungen-Ä). Die Zungenränder können aufge- wölbt werden (bei l). In der Mitte des Zungenblatts kann eine Höhlung (beim s-Laute) oder eine Einne (beim s) ge- bildet werden. e) die Lippen können vorgestülpt und gerundet, aus- einandergezogen und gespalten werden, außerdem einander zur Engenbildung und zum Verschluß genähert werden. Diese Einstellungen veranlassen eine Vergrößerung oder Verkleinerung bezw. den Verschluß des Mundraumes und daher eine Modifizierung seiner resonatorischeu Wirkung. 2. Die Sprachlaute unterscheiden wir a) rein akustisch (oder nach dem Klangeindruck) als stimmhafte und stimmlose Laute nach dem Vorhandensein oder Fehlen des Stimmtons. L Die stimmhaften Laute sind wieder entweder reine Stimmlaute (Sonore) oder stimmhafte Geräuschlaute, d. h. neben dem Stimraton wird ein Geräusch (Reibe- oder Platzgeräusch: v — b, z — d) hörbar, Demgegenüber erklingt bei den Sonoren der reine Stimmton, Avenn auch reso- natorisch modifiziert durch den Mundraum (reine Vokale), oder durch den Nasenraum (der 27- Laut in bange), oder durch beide (bei m, n und bei den franz. Nasalvokalen). — 3 — IL Die stimmlosen Laute sind reine Geräuschlaute: die Geräusche sind entweder Reibegeräusche (Spiranten z. B. /* f s) oder Platzgeräusche (Explosivlaute z. B. p k t). b) nach der Artikulationsart, und zwar zunächst nach den beiden Haupteinstellungen des Sprechapparats, der entweder frei geöffnet ist oder aber dem Luftstrora 'schallbildende Hemmungen' (Sievers) entgegenstellt, die entweder Engen oder Verschlüsse sind: L Öffnungslaute sind alle Vokale, die Nasale (m n), die Liquiden (r 1) und der Hauchlaut h. IL Engelaute sind f— r, s— [sj, [r] — [jl M — [3], engl, [ß] - [dl III. Verschlußlaute, eigentlich Verschlußlösungs- (oder -sprengungs-) laute sind b — /;, d — t, g — k. Die Lösung des Verschlusses kann mit größerer oder geringerer Energie erfolgen (Fortes — Lenes), je nach dem der Druck des Luftstroms, der den Verschluß sprengt, stärker oder schwächer ist. Bei starkem Exspirationsdruck erzeugt der Luftstrom nach der Verschlußsprengung ein Geräusch, so- daß nach dem Explosivlaut noch ein Hauchlaut hörbar wird. Dieses Zutreten des Hauchlautes nennen wir Aspiration, und wir unterscheiden daher reine Verschlußlaute (z. B. in den romanischen Sprachen) von den aspirierten Ver- schlußlauten (in norddeutscher Aussprache der p t k). c) nach der Artikulationsstelle, d.h. nach der Stelle, an der die schallbildende Hemmung gebildet wird: Labiale {h 2)\ Labiodentale {f — v\ Dentale : Interdentale und Postden- tale oder Alveolare {s — z\ engl. th\ Palatale {k g [f] J), Velare (k g) [x\ — [3]. Für die beiden letzten Gruppen ist auch die unzutreffende Bezeichnung 'Gutturale' üblich. d) nach ihrer Funktion in der Sprachbildung als Sonanten und Konsonanten. Sonanten sind Laute, die Träger einer Silbe oder silbenbildend sein können; zu 1* — 4 — ihnen sind zu rechnen alle Vokale, die Nasale und die Liquiden (vgl. die zweiten Silben in nlid. \haha] [%/>?] [himl]). Manche dieser Laute können sowohl als Sonanten wie als Konsonanten fungieren z. B. von den Vokalen i und m; sie erscheinen sonantisch (silbisch) in nhd. \di:b3] Ifir.Ia], da- gegen konsonantisch (unsilbisch) in südd. \ju7jd\^ engl. [iiif]. Ebenso die Nasale und Liquiden, z. B. sonantisch [ge:f/n] [ke:(/l], konsonantisch [ni:tnant] [le'.ra], 3. Lautverbindungen : die Sprache verwendet nur selten einzelne Laute (z. B. lat. i 'geh' ! mhd. e 'Gesetz'), in der Kegel treten mehrere Laute zu einer sprachlichen Einheit (Wort oder Silbe) zusammen. Bei der Beobachtung solcher ' lautlicher Folgen erkennen wir feste Lautverbindungeu, die einen innigeren Zusammenschluß zeigen als sonst auf- einanderfolgende Laute. So ist in den Diphthongen immer der eine Vokal dem andern untergeordnet; in der Kegel dominiert der erste (fallende Diphthonge: äi du), seltener der zweite (steigende Diphthonge: engl, tjo tii). Hierher auch die Affrikaten d. h. Verbindungen von Ver- schlußlauten mit homorganen Keibelauten (j) -\- f, f + s, k + x)? in denen die Reibelaute vorherrschen. Unsere Orthographie verschleiert mitunter Lautverbindungen durch ein einheitliches Zeichen (z = t ■\- s, x = k + s), umge- kehrt kennt sie aber auch Zeichenverbiudungen für ein- heitliche Laute (z. B. ch = [g] oder \x\ seh = [f]). 4. Lautwandel : in allen Sprachen, von denen wir eine längere Entwicklung überschauen können, ist die Artikulation mancher Laute im Laufe der Zeit verändert worden und dadurch allmählich ein Lautwandel eingetreten. Solche Veränderungen sind zum Teil aus der Kombination und Berührung mit andern Lauten zu erklären (sog. kom- binatorischer Lautwandel) und beruhen im wesentlichen auf einer Ausgleichung der verschiedenen Artikulationen, — 5 — indem bei der Bildung des einen Lautes eine Artiku- lationsbewegung des andern Lautes übernommen wird (z. B. np > mp in mlid. ivinthrd > nhd. Wimper). Solche kombi- natorische Veränderungen sind alle Palatalisierungen und Velarisierungen, Umlaute und Brechungen, Assimilierungen und Dissimilierungen. Zahlreiche Lautwandlungen können wir jedoch nicht aus derartigen kombinatorischen Ver- änderungen erklären, diese nennen wir spontane Laut- veränderungen. Abschnitt I. Urgermanisch. Literatur: 1. Allgemeine Werke: Brugmann , Grundriß der ver- gleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen (1897 ff.) — Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen (1902). Delbrück, Einleitung in das Studium der indogermanischen Sprachen (*1908). Dieter, Laut- und Formenlehre der altgermanischen Dia- lekte (1900). Kauffmann, Deutsche Grammatik (^1909). Kluge, Urgermanisch, Vorgeschichte der allgermanischen Dialekte (' 1913). Loew^e, Germanische Sprachvirissenschaft (1905). M eiltet, Ein- führung in die vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen (1909). Noreen, Abriß der urgermanischen Lautlehre (1894). Streitberg, Urgermanische Grammatik (1896). Wilmanns, Deutsche Grammatik (F 1911, 111 1.« 1906/8). 2. Für die einzelnen germanischen Dialekte: Braune, Gotische Grammatik («1912). Kluge, Die Elemente des Gotischen (1911). Streitberg, Gotisches Elementarbuch (''1910). Holthausen, Alt- sächsisches Elemenlarbuch (1900). Sievers, Angelsächsische Gram- matik ('1898) — Abriß der angelsächsischen Grammatik (^1904). Heusler, Altisländisches Elementarbuch (1913). Noreen, Ge- schichte der nordischen Sprachen ("* 1913) — Altnordische Gram- matik (»1903) — Abriß der altisländischen Grammatik (»1905). Das Deutsche gehört zusammen mit dem Niederlän- dischen, Friesischen, Englischen, Dänischen, Schwedischen und Norwegischen zu der Gruppe der germanischen Sprachen. Bei allen Verschiedenheiten dieser Sprachen ist schon bei nur praktischer Kenntnisnahme eine große Ähnlichkeit im ganzen Sprachcharakter und in vielen Einzel- heiten unverkennbar; einer vergleichend-historischen Be- trachtung aber, die die ältesten Formen dieser Sprachen (also — 7 — das Altniederfräakische, Altfriesische, Altsächsische, Alt- englische oder Angelsächsische, Altnordisclie und außerdem das später ausgestorbene Gotisciie) berücksichtigt, ergeben sich so viele Übereinstimmungen, daß zu ihrer Erklärung notwendig ein älterer Zusammenhang im Sprachleben der germanischen Völker (wie der Sueven, Franken, Sachsen, Friesen, Skandinavier und Goten ^) angenommen werden muß: eine Sprachgemeinschaft, die die Ausbreitung sprachlicher Materialien und Veränderungen über das ge- samte Gebiet dieser Völker ermöglichte. Alle Spracher- scheinungen, die auf diese Weise allen Germanen gemein- sam geworden sind, pflegen wir als gemeingermanisch zu bezeichnen, solche dagegen, die nur ein beschränktes Geltungsgebiet haben, als eiuzeldialektisch oder einzelsprach- lich (bzw. als friesisch, englisch usw.). Die ältesten sprach- lichen Überreste, wie sie uns aus verschiedenen Teilen des germanischen Sprachgebiets aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten erhalten sind 2), zeigen nun noch fast gar keine einzeldialektischen Erscheinungen, wohl aber alle geraeingermanischen, wenn auch nicht mit absoluter Gleich- mäßigkeit. Das älteste Germanisch oder das sog. Urger- ') Nach der ältesten geographischen Gruppierung der germani- schen Stämme unterscheidet man häufig auch ihre Dialekte als w est - und ostgermanisch. Zum Westgermanischen gehört das Althoch- deutsche, Niederfränkische, Friesische, Altsächsische, Angelsächsi- sche, zum Ostgermanischen aber das Gotische und Altnordische. Ein engerer sprachlicher Zusammenhang besteht jedoch nur für die westgermanische Gruppe. *) Nämlich: 1. in der klassischen Überlieferung (germanische Worte und Namen). 2. in den Runeninschriften besonders auf Grab- steinen in Norwegen, Schweden und Dänemark; in andern Teilen des germanischen Sprachgebiets sind nur kleinere Runeninschriften (auf Schmuckstücken) gefunden worden. 3. in einzelnen Lehnwörtern der finnischen Sprache, die zu Beginn unserer Zeitrechnung aus der Sprache eines germanischen Volkes entlehnt sein müssen. manisch zeigt also im wesentlichen den gemeingermani- schen Sprachcharakter, die Begriffe 'lirgermanisch* und *gemeingermanisch' decken sich daher in vielen Fällen. Der geraeingermanische Sprachcharakter ist, wie schon oben angedeutet, das Ergebnis einer längeren Entwicklung, in der sich eine Reihe von sprachlichen Yeränderungen und Neuerungen ausgebreitet hat. Eine genauere Be- obachtung dieser germanischen Sprachneuerungen, vor allem die Feststellung der vorgermanischen Sprachformen ist uns dadurch ermöglicht, daß Avir diese Sprachformen teil- weise erhalten finden in den Sprachen anderer Völker, mit denen die Germanen in einer vorgeschichtlichen Zeit durch eine ähnliche Sprachgemeinschaft verbunden gewesen sein müssen, wie wir sie eben für die germanischen Stämme unter sich angenommen hatten. Diese ältere Sprachgemein- schaft hat eine Reihe von Völkern umfaßt, die sich heute zunächst über Europa und Asien verteilen (hauptsächlich die Inder, Perser, Armenier, Slaven, Litauer, Germanen, Kelten, Römer und Griechen), und hat in den Sprachen dieser Völker eine große Menge von Übereinstimmungen geschaffen. Alle sprachlichen Erscheinungen, die so den Indern, Persern usw. gemeinsam geworden sind, nennen wir (mit eigentlich willkürlichem Herausgreifen zweier Namen der ganzen Reihe) 'indogermanisch' oder 'gemeinindogermanisch', nicht- deutsche Gelehrte brauchen dagegen den Terminus 'indo- europäisch'. Eine als gemeinindogermanisch erwiesene Spracher- scheinung darf also auch für das Germanische voraus- gesetzt oder als 'vorgermanisch' bezeichnet werden. Die Feststellung der germanischen Sprachneuerungen aber er- folgt durch Vergleichung der (wirklich in einer Sprache erhaltenen oder durch Vergleichung festgestellten) indo- germanischen Sprachforraen mit den geraeingermanischen — 0 — oder lirgermanischen Spracht'orraen. Aus praktischen Gründen werden wir jedoch nicht allein mit den rekonstru- ierten Formen arbeiten, sondern bei Gegenüberstellungen immer auch wirklich bezeugte Laute und Formen zuziehen. Dabei bieten für indogermanische Sprachformen das Latei- nische, Griechische und Indische die klarsten Beispiele, für gemeingermanische Sprachforraen dagegen das Gotische, das, von einigen leicht erkennbaren Neuerungen abgesehen, den urgermanischen Bestand am besten erhalten hat. § 1. Idg. und germ. Akzent. Der indogermanische Akzent konnte ursprünglich jede Silbe eines Wortes treffen und steht so noch im Griechischen ebenso auf Stammsilben (TrdTep tpepiu), wie auf Yorsilben (biöuDiin eqpepov) oder auf Suffixen [naTpöq TxaibevTÖc, i'iöuq). Demgegenüber kennen die germa- nischen Sprachen überall nur die Betonung der ersten AYortsilbe, eine Neuerung, die erhebliche Veränderungen im Laut- und Formenbestand veranlaßt hat. Die Fixie- rung des germanischen Akzentes ist schon für das älteste Urgermanisch vorauszusetzen auf Grund des Auftretens der Alliteration in genealogischen Namenreihen wie Ar- minius : Inguiomerus^ Vannius : Vangio, Blesio : Burgio, Se- gestes : Segimundus : Segimerns. Die hierdurch gesicherte Beobachtung des Anlauts zum Ausdruck der Zusammen- gehörigkeit (die auch zur Ausbildung des dichterischen Kunstmittels geführt hat) beruht notwendig auf energischer und unveränderlicher Betonung der 1. Wortsilbe. Ausgenommen von dieser Regel sind die Yerbal- komposita, die, oft im Gegensatz zu danebenstehenden Nominalzusammensetzlingen , Betonung der rStammsilbe zeigen z. B. erlauben (: Urlaub)^ erteilen (: Urteil), mhd. hejehen 'bekennen' {-.hljiht *Beichte'), entladen 'los lassen' — 10 — {•.dntld:^ 'Ablaß'). "Wie aber die Trennbarkeit der Verbal- komposita durch Partikeln im Gotischen (z. B. m-nh-höf ga-u-laubjats us-nu-(iibip) zeigt, hatten die Verbalprä- fixe ursprünglich eine selbständigere Stellung, sodaß sie in der Zusammenrückung mit einem Verbum zunächst ihren eigenen Akzent behielten. Ein Verbalkompositum hatte also von Haus aus zwei Akzente {gd-laiihjan\ von denen freilich wohl immer der Akzent der Stammsilbe sinngemäß dominierte {(jä-Jaühjan). — Demgegenüber sind die Nominalkomposita alte Worteinheiten, die unter die allgemeine Akzentfixierung fallen mußten und also nor- malerweise Erstbetonung haben. Doch ist allmählich dieser Unterschied verwischt worden, seit zahlreiche jüngere No- minalbildungen zu Verbalkomposita die 2. Silbe betonten ( Verständnis) und umgekehrt Verbalableitungen von Nomi- nalkomposita die Erstbetonung festhielten [herbergen^ brand- schatzen^ langweilen). § 2. Idg. und germ. Vokale. Der germanische Vokalismus zeigt gegenüber dem indogermanischen eine Vereinfachung, insofern von den laugen Vokalen a, von den kurzen Vokalen ound von den Diphthongen o/, ou und ei fehlen. Dieser Zustand ist durch folgende spontane Veränderungen hervorgerufen: 1. idg. d > germ. 6. lat. frdter 'Bruder' — got. hropar lat. mdter 'Mutter' — as. modar lat. sdgio 'wittern' — got. sökjan 'suchen* griech. Träxuq 'Ellenbogen' — ags. bog 'Bug' Die alte Vokalqualität scheint um Christi Geburt noch erhalten gewesen zu sein, wie der Name der silva Bdcenis (bei Caesar) zeigt, der später Böconia lautet (zu ags. böc 'Buche* — lat. fdgus). — 11 — 2. idg. ö > germ. d. lat. hoüh 'Fremdling, Feind* — got. cfa^U lat. nocfem 'Nacht' — got. naht lat. octo 'acht' — got. ahtau griech. qpepoinev 'wir tragen' — got. balram Der Lautwandel ist bereits im ältesten Urgermanischen vollzogen, wie Namensformen wie Langohardi (zu lat. longus 'lang') oder Chariomerus (zu griech. KOipavo(; 'Kriegsherr' aus *JiörJanos) beweisen. Dagegen haben die zweiten Silben noch das alte -6-, das sich in der Unbetontheit länger gehalten hat; freilich bestanden daneben in andern Teilen des Sprachgebiets auch schon Formen mit -a-, sodaß z. B. die Namen Marco-manni und Marca-richus nebeneinander stehen. Der gleiche Lautwandel des ö > a ist auch in den indogermanischen Verbindungen oi und ou eingetreten, für die das Germanische nur die Diphthonge ai und au kennt : griech. xoi 'die' — got. pai griech. TToiKi\o<; 'bunt' — got. -faihs griech. qjepOK; — got. halrais idg. *roudhos 'rot' (lat. rüfus) — got. raußs idg. *loukos 'Hain' (lat. lücus) — urgerm. *Iauxcn (ahd. loh). 3. idg. ^ist im Germanischen vielfach zu i gewandelt: a) regelmäßig iu unbetonter Silbe z.B. griech. (pepexe — ahd. hifit (später beref)^ GuYaipeg 'Töchter' — run. dohtriz^ ujXevTi 'Ellenbogen' — ahd. elina 'Elle'. Nur vor -;• blieb e erhalten : griech. Tratepa lurirepa — ahd. fater muoter, griech. UTiep lat. super — ahd. iiber. b) in haupttoniger Silbe nur unter bestimmten kombinatorischen Bedingungen : I. vor Nasal + Konsonant: griech. nevre 'fünf' — ahd. finf, lat. lentus 'biegsam' — ahd. lindi^ lat. ventus 'Wind' — ahd. wint. — 12 — II. durch Einfluß eines -/- oder -j- der folgenden Silbe: griech. ecrii — ahd. v germ. ur (ru). ai. t/'m-m 'Grashalm' — germ. "purnuz *Dorn' (got. ßaürmis) ai. /i'.v?<-N 'gierig, leclizend' — germ. *piirsi(z Murre' (got. paursus) idg. pi'-m- (griech. Tipdiao^ 'Vorderster, Führer') — got. fnima 'erster' 2. idg. / > germ. u/ (/w). idg. *iiqO!< (ai. vi-ka-s) — got. tvulfs idg. *j4fh-{a\. prtkivi 'Erde') — germ. *fuldo 'Erde' (as. folda) idg. *plk-to-nos — germ. *flnhtanaz (ahd. rji-fohtan) 3. idg. ifl > germ. um. idg. *kjiit6m '100' (ai. satä-ni griech. eKarov lat. centuni) — got. hund idg. *f/¥tjitis 'Gang' (ai. gdtis griech. ßdcJi? lat. .^entio) — got. ga-quynßs 'Zusammenkunft' idg. *dekTp, '10' (ai. ddsa griech. hUa lat. decem) — got. taihiin 4. idg. n > germ. un. idg. *dnf- 'Zahn' (lat. dentem) — got. timßus. idg. *;/*«/o?« 'Kinn' (lat. mentnm) — got. mww/s. Der so entwickelte gemeingermanische Yokalismus ist (abgesehen von der unter 3 c besprochenen Wandlung aller ey i) im Gotischen gut erhalten. Nur werden vor r und h die Extremvokale il und i zu ö (aü) und e {ai) verändert (sog. 'Brechung') — 14 — griech. Trpo-Gupov 'Vortür* — germ. *duram : got. danr griech. öuTotTrip 'Tochter' — ^QTm.*duhter: got. daühtar lat. cir 'Mann' — germ. *wiraz: got. wair got. stigum — talhum^ hitdum — taühum. Unter Berücksichtigung dieser sekundären Wandlungen können wir im folgenden wesentlich mit gotischen Bei- spielen arbeiten. § 3. Ablaut. In vielen etymologisch und morphologisch zusammen- gehörigen Wortformen des Germanischen bestehen Unter- schiede im Vokalismus, die durch keinerlei einzelsprach- liche Neuerungen zu erklären sind (z. B. got. tunßus: ahd. zand, nhd. Berg : Burg^ heiß: Hitze). Ähnliche Vokalwechsel zeigen aber auch die andern indogermanischen Sprachen, und so können wir bei historischer Vergleichung eine Reihe von Vokalabstufungen als gemeiuindogermanisch erweisen, deren Differenzierung wahrscheinlich durch uralte (und im einzelnen nicht mehr erkennbare) Akzentverschieden- heiten veranlaßt worden ist. Diesen gemeinindogermani- schen Vokalwechsel nennen wir Ablaut. Der Ablaut besteht entweder in einem Unterschied der Quantität (Wechsel von Kürze und Länge) oder in Unterschieden der Qualität (Wechsel von verschiedenen Vokalfarben). Der Vokal kann schließlich aber auch einer völligen Reduktion anheimfallen und ganz schwinden, sodaß er für uns nur erkennbar wird, wenn daneben noch andere Ablautstufen stehen. Die zu der 'Schwundstufe' oder 'Nullstufe' eines Vokals gehörigen anderen Ablaut- stufen (die soAvohl dem quantitativen als dem qualitativen — 15 — Wechsel angehören können) nennen wir *Hochstufen'. Die für das Germanische wichtigsten Ablauts Wechsel sind die folgenden : 1. Quantitativer Ablaut (oder Abstufung). a) idg. ä: d = germ. ä: 6 { nach § : 2, 1 ). Ygl. lat. scäho : sccihi 'sciiabcn', grioch. (pajudv : qpöfii 'sprechen'. got. hana 'Hahn* : as. hon 'Huhn' (zu lat. cano 'singe') got. a /j ^P ^ Pi ^'X > X wurden. Wie hier aus aspirierten stimmlosen Verschlußlauten stimmlose Spiranten entstanden sind, so sind in paralleler Ver- änderung die aspirierten stimmhaften Verschlußlaute (die indogermanischen Mediae Aspiratae hh dh gh) zu stimmhaften Spiranten (ö ö» 3) geworden. Dagegen ist ein der Tenuisverschiebung analoger Zusammenfall von Medien und aspirierten Medien (durch eine etwaige As- pirierung der ersteren) nicht eingetreten, vielmehr haben die Medien im Germanischen den Stimmton verloren und sind damit zu Tenues geworden, die als reine (nicht- aspirierte) stimmlose Verschlußlaute gemeingermanisch bis ins 4, nachchristliche Jahrhundert bestanden haben. Die Entstehung der einzelnen germanischen Kon- sonanten zeigt nun noch manche Besonderheiten : 1. Die stimmlosen Spiranten f p x sind entstanden a) aus indogermanischen Tenues p t k lat. pannus 'Lappen' — got. fana 'Stück Tuch' lat. pellis 'Fell' — got. ßl 'Fell' lat. capio 'nehme' — got. ha f Jan 'heben' lat. taceo 'schweige' — got. pahan iat. tris '3' — got. preis lat. verto 'drehen' — got. wairpan 'werden' — 21 — lat. coniH 'Hörn' — got. kaum lat. Collum 'Hals' — got. hals lat. pecu 'Vieh' — got. faihii lat. quocl *was' — got. Iva lat. sequor 'folgen' — got. sa!fvan 'sehen' b) aus indogermanischen Tenues Aspiratae ph th kh (in griech. qp 6 x, die nicht als Reibelaute zu sprechen sind, erhalten). griech. fpdcpuj 'ritze, schreibe' — ags. ceorfan 'schneiden, schnitzen' griech. d-dKrjönq 'un geschädigt' — got. skapjan 'schaden' griech. axvn 'Spreu' — got. ahamt 2. Die stimmhaften Spiranten b d ^ sind entstanden a) aus indogermanischen Mediae Aspiratae hh dh (jh^ die allein im Indischen erhalten sind ; das Griechische hat daraus stimmlose Aspiraten q) 9 x? das Lateinische stimmlose Spiranten (im Anlaut: und zwar für hh dh den labialen Spir, /", für (jh — h) oder reine Medien (im Inlaut) entwickelt. ai. hhdrämi 'trage' — griech. (pepuu — lat. fero — got. halran ai. löhhdyati 'erregt Verlangen' — lat. liü)et 'es beliebt' — got. (jalauhjan 'gutheißen, glauben' ai. dhä- 'setzen' — griech. Ti-6ri|ui — lat. fa-cio — got. deps 'Tat' ai. mddhijas 'mitten' — lat. medius — got. midjis 'mittlerer' ai. stighnöti 'steigt' — griech. crreixuu — lat. ve- stujhnn 'Spur' — got. steigan ai. jdidghä 'Bein, Fuß' — got. gaggan 'gehen' griech. xopTO(; 'Gehege' ■ — lat. ho)-tus 'Garten' — got. gards 'Haus, Umfriediguug* 9'> idg. *sotd(jhva — griech. 6\xc^\\ 'Stimme' — got. siggwan (d. i. smguan) 'singen' b) aus idg. Tenues p t k^ da die aus ihnen durch die erste Verschiebung entstandenen stimmlosen Spiranten {fp x) stimmhaft {b d 3) wurden, wenn der unmittelbar vorher- gehende Sonant nach der indogermanischen Betonung nicht den Hauptakzent trug (Yerners Gesetz). ai. i)itdr- 'Vater' — griech. narnp — germ. *fap6r > * fader — got. fadar ai. satdm '100' — griech. eKaiov — germ. \unp6n > \und6n — got. hund ai. saptä '7' — griech. eTTid — germ. *sefi'm > *sebün — got. sibun ai. svas7"ä- 'Schwiegermutter' — griech. eKupd — germ. *suexrü- > *sue^ru- — ahd. swigar ai. daMt- 'Dekade' — griech. öeKoig — genn. *texu- > He^n got. Higus {-tigjus) c) nur scheinbar aus vorgermanischen Tenues, tat- sächlich aus idg. asp. Medien (a), infolge einzelsprachlicher Lautgesetze im Griechischen. Die indogermanischen Mediae asp. sind im Griechischen normalerweise durch Tenues asp. vertreten, "Wenn aber eine Wurzel mit einer Aspirata an- und auslautete, so mußte die eine Aspirata die Aspiration verlieren und zur reinen Tennis werden, z. B. 0piH 'Haar' — xpixo^, GdacTiuv 'schneller' — Taxug (Graßmanns Hauch- dissimilationsgesetz). idg. *bhäghu-s — griech. iraxu^ (für qpäxu?) 'Unter- arm' — ags. hög 'Bug' idg. *dhe/gh griech. reixo^ (für öeTxog) 'Mauer' — got. deigan 'kneten, aus Ton formen' idg. *ghehhalä — griech. KeqpaXi'i (für xeqpaXi'i) 'Kopf — got. gihla 'Giebel', ahd. gebal 'Kopf — 23 — 3. Die stimmlosen Verschlußlaute pik sind entstanden: a) aus indogermanischen Medien b d (j: lat. turha \Schar* — got. pm'ir^ 'Acker', an. lyorp •Gehöft, Schar' lat. läbricus 'schlüpfrig' — got. diiipan 'schlüpfen* lat. domo 'zähmen' — got. ga-tarnjan lat. edo 'essen' — got. itan lat. genus 'Geschlecht' — got. Icuni lat. (((jer 'Acker' — got. akrs lat. {())vtvus 'lebendig' — got. qius (d. i. kuius) b) aus indogermanischen Tenues p t k, die durch unmittelbar vorhergehendes stimmloses s vor der Aspirierung (s. 0. 1 a) geschützt waren und daher unverändert erhalten geblieben sind: lat. spuo 'spucken' — got. speiwan lat. stelld 'Stern' — got. stairnö lat. est 'ist' — got. ist lat. scaho 'schaben' — got. skaban lat. piscis 'Fisch' — got. ßsks c) die indogermanische Tennis t ist aber außerdem auch in den Verbindungen -kt- und -/;#-, germ. -x^- und -ft- unverändert geblieben und verdankt sicher auch hier ihre Erhaltung dem Schutz der vorangehenden harten Spiranten (x f): lat. octo '8' — got. ahtaii lat. rectiis 'gerade' — got. raihts griech. KXeTTTn«; 'Dieb' — got. hliftus lat. ccfptus 'gefangen' — ahd. haft Diese Spiranten sind aber nicht, wie s (s. u. b), ge- meinindogermanisch; anderseits dürfen sie auch nicht mit den durch die 1. Lautverschiebung entstandenen Spiranten {f /) x) auf eine Stufe gestellt werden. Denn da sie grade diese Verschiebung bei t verhindern, müssen sie schon — 24 — vor der allgemeinen Aspirierung der Verschlußlaute be- standen haben. Wir müssen also eine Spirantenentwicklung vor der eigentlichen Lautverschiebung annehmen, die i) und k erfahren haben, wenn sie unmittelbar vor t standen. Übrigens hatte diese Spirantenverschiebung einen größeren Umfang, da die Verbindungen -kt-, -pt- auch in vielen /-Bildungen zu Wurzeln auf Media oder Media asp. ent- standen, in denen der Auslaut gemeinindogermanisch einen Stimmtonverlust erlitt, vgl. lat. recjere 'lenken' — rictus, nitbere *verhüllen' — nuptus. Daher stehen im Germanischen nebeneinander got. f/ibati 'geben* (idg.*ghebh-): got frag ifts 'Ver- leihung' (idg. ^ghepti-) got, gaskapjan 'schaffen' (idg. *skab-) : got. gaskafts 'Schöpfung' (idg. *skapU-) got. waüfkjan 'tun' (idg. *iii'g-) : got. fra-waürhts 'Sünde' (idg. *ufk-ti-) got. siuks 'krank' (idg. *sengo-) : got. saühts 'Krank- heit' (idg. *suk-ti-) 4. Unterschiede der Artikulationsstelle (germ. velare Artikulation gegenüber griech. oder lat. labialer Artikula- tion) beruhen auf verschiedener einzelsprachlicher Behand- lung der indogermanischen labialisierten Velare (/«, gvh, kti, kvh. Das Griechische (besonders das Äolische) und unter bestinmiten Bedingungen auch das Lateinische haben daraus reinlabiale Laute entwickelt, während das Germa- nische bei allen sonstigen (der Lautverschiebung gemäßen) Veränderungen doch die Labialisierung treu bewahrt hat; vgl. oben got. qiits^ siggwan, Iva^ saik'cin. Nur vor indo- germanischen dunklen Vokalen [ü o) ist die Labialisierung geschwunden, sodaß dann germanische reine Velare den griechischen Labialen gegenüberstehen: — 25 — ahd. (jund- 'Kampf — griech. qpövoi; 'Mord' — lat. de-fen-do 'abwehren' — idg. *(/uhen *(/^hn- nindd. ko, ahd. kuo — griech. ßoö? — lat. hos — idg. *gifö- got. kaurus 'schwer' — gi'iech. ßapuq (lat. gravis) — idg. * j)) veranlaßt. lat. qudtuor '4' — vorgerm. ^petirot- — got. fidivor idg. *peidkve '5' — griech. nevie — vorgerm, *pempe — got. fimf idg. *vlktfos 'Wolf — griech. XuKog — vorgerm. *vl2}os — got. Wulfs Außerdem hat das labiale Element auch in urgerm. 3^ gesiegt, da hier (außer in der Verbindung -«3"-) der velare Spirant verklungen ist: idg. ^gulier lat. formus 'warm' — griech. 6€p|uög — germ. *:^warmaz > *wa>maz (got. warmjan 'wärmen') idg, *snigifh- *snoigvh- 'Schnee' — griech. viqpa — lat. nix^ nivis — germ. *sna}^vaz > *snaiu'az — got. snaiws idg. *akvJÖ (lat. aqua 'Wasser') — germ.*a;^ujö > *ai(jd — ahd. ouwa 'Strom' 5. Eine vor der Lautverschiebung vollzogene und keineswegs auf das Germanische beschränkte Veränderung hat die indogermanische Tenuis t in den Verbindungen -ts- und -tt- getroffen. a) -fs- ist zu -M- assimiliert, das nach langem Vokal zu -s- vereinfacht wird (z. B, auch lat. concutio : concussi^ suädeo : sudsi, milites : miles). — 26 — idg. *knit-so- — griech. Kvicrcra *Diift, Qualm' — (lat. nidor 'Bratenduft') — aisl. Jtniss 'Geruch' idg. *h}ieidh-sni- — got. usbeistis 'Erwartung' (: griech. ireOcu 'überrede', got. 6e/(/rt« 'erwarten') idg. *bhüdh-sni got. anabüsns 'Gebot' (: griech. TreuOo|uai 'erforsche', got. h'mdan 'lasse wissen, entbiete'); das Suffix -sni auch in got. garehsns 'Bestimmung' : rahnjan 'rechnen'. b) -tt- wurde gemeinindogermanisch zu -isf-^ und in dieser Verbindung gab das Griechische das erste t auf (z. B. idg. *wit-to — griech. a-i(TTO(; 'ungesehen' : griech. (F)iöe'iv 'sehen') ; das Germanische (und Lateinische) dagegen verlor das zweite t und die übrigbleibende Verbindung -ts- wurde nun wie altes -fs- (s. u. a) zu -ss- (nach langem Vokal -s-) assimiliert. idg. *wii-to- > *ivitsto- > *witso- > *irisso got.ww- - wiss 'ungewiß' idg. *mt-to- — got. iveis 'weise' idg. *gifet-ti- (: lat. veto 'verbieten' got. qipan 'sagen') — got. ga-qiss 'Verabredung' idg. *kuot-to- (: got. ga-fvatjan 'anreizen' ahd. wezzen) — got. *lvass 'scharf (Adv. Ivassaha 'streng, scharf) 6. Notwendig nach die Lautverschiebung fällt da- gegen der Nasalverlust vor dem neuentstandenen volaren Spiranten x (-^X- > -X"? -h-)- Walirscheinlich trat zunächst Nasalierung des vorangehenden Vokals ein, Avas jedenfalls die mit dem Nasalausfall stets verbundene Vokaldehnung gut erklären würde. idg. *uink- (lat. vinco 'siege') — germ. *tvinx- > *tviX- (got. tveihan 'kämpfen') idg. Henkuos (lat. tenqms 'Zeit') — germ. *ßinxaz > *pi)(ßz [got peihs) — '11 — Häufig ist das -//- nach Nr. 3, c entstanden und gehört dalier zu Wurzehi, die von Haus aus mit Media oder asp. Media auslauten; daher stehen nebeneinander: got ßagkjan 'denken' — pähta (aus *ßanhta) got. ßugkjan 'dünken' — pühta (aus *punhf *te^üs (got. -tigus). und ähnliche Unterschiede bestanden zwischen vielen zu einem Stamm gehörigen Flexions- oder Bildungsformen. Dieser sogenannte 'grammatische Wechsel' von germanischen stimmlosen und stimmhaften Spiranten besteht — 29 — 1. in der Wortbildung: a) germ. f : b (got. f : h) got. aßifnan 'übrig bleiben' : hileiban *bleibeu' got fiarf %Qdai-r : parba 'Mangel' b) germ. ß : d (got. p : d) got. (dpeh 'alt' : aldx 'Menschenalter' got. fraj)j(m 'verstehen' : frodei 'Klugheit' c) germ. x : 3 feot- ^^ '• !/) got. aih 'ich habe' : a/(/in 'Eigentum' ahd. zahar 'Zähre' : got. tagr d) germ. s : z (got. s : z, westgerm. ö* : r) ahd. fermna 'Ferse' : got. fairzna got. auso 'Oiir' : ahd. öra 2. in der verbalen Stammbildung: Hier bestanden ur- alte Akzentunterschiede, die das Indische noch erhalten hat: 1. Sing. Praes. värtämi, 1. Sing. Perf. vavdrta mit Stamm- betonung, dagegen 1. Plur, FoiTtvavrtimd, Part. Feri.vavftänds mit Suffixbetonung, und dieser Unterschied ergab im Germa- nischen einen Stamm *ive7'p- *warp-^ der mit einem Stamm *umrd- wechselte. Freilich hat die nahe Zusammengehörig- keit der Formen früh zu Ausgleichungen geführt, aber diese gehören zumeist der einzeldialektischen Entwicklung an. Am konsequentesten hat das Gotische den gramma- tischen Wechsel beim Verbum beseitigt (z. B. wairpan ivarp wanrpum nicht *imurdum)^ dagegen zeigen die andern germanischen Dialekte den grammatischen Wechsel noch vielfach in guter Erhaltung. Wir geben im folgenden Beispiele aus dem Altsächsischen: a) f:b hwerbcm 'sich wenden' (für hwerfan) — hwarf — hwurbun — gihworban heffian (daneben hehh'mn) 'heben' — Iwf — höbicn — yiJiaban — 30 — h)P:d fithan (für *finthan) 'finden' — fa)id (für *fdth) — fundun — fundan icerthan — tvartk — ivurdun — wordan c) A:5 tiohin 'ziehen' — toh — tiKjun — gitogan dahan 'schlagen' — d6(j (für *sl6h) — slögun — gislagan d) hw: ^w = h : w (§ : 4, 4) sehan 'sehen' (got. saihan) — sah — sdwun — giseivan Uhan 'leihen' (got. leilvan) — Uh — liwun giliwan. e) 5 : z kiosan 'wählen* — kos — kiirim — gikoran wesan — was — wdrun — giwesan (für *ghveran) § 6. Auslautsgesetze. Durch die Fixierung des germanischen Akzents auf die erste Wortsilbe wurden alle folgenden Silben dauernd unbetont und die Artikulation der Laute dieser Silben durch diese Unbetontheit stark beeinträchtigt. Nur einsilbige "Worte sind daher in voller Lautgestalt erhalten geblieben (got, so pö pan h'an\ bei den mehrsilbigen dagegen zeigen sich in den unbetonten Silben verschiedene vokalische und konsonantische Veränderungen, Minderungen oder wirkliche Aus- und Abstoßungen (Reduktionen — Synkopieruugeu und Apokopierungen), und diese pflegt mau in der germanischen Grammatik unter dem Schlagwort 'Auslautsgesetze' zu- sammenzufassen. Die Auslautsveränderungen sind in der Mehrzahl erst in historischer Zeit eingetreten, das älteste Urgermanisch zeigt im wesentlichen noch den unversehrten Vokalismus auch der unbetonten Silben. Volle Endungs- vokaie zeigen z. B. einzelne germanische Wörter und — 31 — Namen der klassischen Überlieferung {alcis *EIch*, ilrus 'Auerociis', Albis eigtl. 'Fluß') und solche, die als frühe Lehnwörter in die finnische Sprache gedrungen sind (finn. reiif/as 'Ring', kuningas 'König', kernas 'bereit' — kulta 'Gold', riutfa 'Sandbank' — kaunis 'schön', tiuris 'lieb' — vantiis 'Handschuh' — ritnö 'Geheimnis', tatikö 'Stange'). Schließlich zeigen auch die ältesten Runen- inschriften volle Endungsvokale, z. B. dfif/az, — peicaz — dohtriz^ -gastiz — f/odagas htmbdas — riinoz. Diese Endungsvokale, die also im 1./2. Jahrh. n. Chr. noch bestanden haben, sind erst in einer Zeit reduziert worden, in der die enge Sprachgemeinschaft der Germanen (durch Verschiebungen der einzelnen Stämme u. a.) schon gelockert und dadurch eine gleichmäßige Ausbreitung von Sprachneuerungen über das ganze Gebiet erschwert war. Daher gehen die germanischen Dialekte in der Entwicklung der unbetonten Silben vielfach auseinander, auch haben sie mitunter durch nachträgliche einzeldialektische Neuerungen die Wirkung älterer Veränderungen wieder verwischt. So lassen sich nur wenige Auslautsgesetze als gemeinger- manisch erweisen. 1. Konsonantische Auslautsgesetze. a) Gemeingermanisch sind ausl. dentale Verschluß- und Reibelaute geschwunden (in einsilbigen "Wörtern mitunter erhalten: ai. ud 'aus' — got. üt). lat. velit 'er möge wollen' — got. tcill 'er will' lat. qnod 'was' — got. Iva b) gemeingermanisch sind ausl. Nasale geschwunden (erhalten nur in einsilbigen Wörtern : lat. tum 'dann' — got. pan^ altlat. qiiom {cum) 'als, wenn' — got. Ivan). idg. *krnom (vgl.griech. epYo-v) — run. horna 'Hörn' lat. domu-m — run. magu 'den Sohn' got. tuggo 'die Zunge' — tiiggon-s 'der Zunge' — 32 — 2. Vokalische Auslautsgesetze. Allen germanischen Dialekten gemeinsam ist eine verschiedene Behandlung der langen und der kurzen Endungsvokale: lange Vokale können zunächst nur (quantitativ oder qualitativ) reduziert, kurze Vokale dagegen können völlig apokopiert werden. Im einzelnen gelten folgende Regeln: a) von kurzen Vokalen bestanden nach S. 11 urger- manisch in unbetonten Silben nur a, i und ü^). I. kurzes -ä ist gemeingermanisch geschvt^uuden, auch da, wo es erst durch vorangegangenen Xasalverlust (s. o. Ib) in den Auslaut trat: griech. (F)oiöa *weiß' — got. waif griech. Zv^öv 'Joch' — got. juk : BFl. Juka-m griech. Xukoi; 'Wolf — got. wulf.i : DPI. ivulfa-m IL kurze i und ü scheinen gemeingermanisch nur nach langer Stammsilbe (sowie in 3. Silbe) geschwunden, dagegen nach kurzer Stammsilbe erhalten geblieben zu sein. a) Diesen Zustand bewahren am deutlichsten die west- germanischen Dialekte, besonders das Angelsächsische, in dem die nach kurzer Silbe erhaltenen -n als -«, dagegen die -i als -e erscheinen: germ. -uz : ags. sunu 'Sohn' — aber hdd 'Stand, Wesen'. germ. -iiz : ags. duru 'Tür' — aber hond 'Hand'. germ. -iz : ags. stede 'Ort' — aber dcel 'Teil'. ß) Das Altnordische dagegen hat durch eine zweite Auslautsreduzierung alle / und u "auch nach kurzer Silbe synkopiert, aber erst später als nach langer" (Heusler). ') Apokope eines ausl. -e vor dem allgemeinen Übergang der unbetonten e"} i ist nach Ausweis des Angelsächsischen erfolgt in Formen wie ags. help 'hilf! (vgl. griech. q)dpe 'trage'!), wdt 'er weiß' (vgl. griech. oibe), wiilf (Vokativ, vgl. griech. Xukc). — 33 — y) Das Gotisclie hat in verschiedener Weise aus- geglichen, bei i zu Ungunsten des Vokals, d. h. Synkope des -i- auch nach kurzer Stammsilbe: got. staßs 'Ort' wie dcrils *Teir got. muns 'Gedanke* wie gasts Tremder' bei u zu Gunsten des Yokals, d. h. Restituieruug der -u- auch nach langer Stammsilbe: got. Jiaidus 'Art' wie sunus 'Sohn' got. handioi 'Hand' wie magus 'Knabe' Ein Rest der alten gemeingermanischen Apokopo des -w nach langer (und in 3.) Silbe zeigt sich im Gotischen nur noch bei dem Akk. Sing, der konsonantischen Stämme: idg. *nokt-rp, ( — lat. noctem) — germ. *naxtuni > *naxtu — got. naht idg. *ghriimon-r]i ( — lat. hominem) — germ. *;f,uma- num > *^umanu — got. guman h) Von langenVokalen bestanden urgermanisch in un- betonten Silben e t ö und die Diphthonge ai und «m, aber in ihrer Fortentwicklung gehen die verschiedenen germanischen Dialekte ganz auseinander. Da sich also hier keine gemein- germanischen Auslautsgesetze aufstellen lassen, beschränken wir unsere Betrachtung auf das Gotische, das die urger- manischen Vokale am treusten erhalten hat. Vor allem sind im Gotischen die Diphthonge ai und au unverändert geblieben (NPl.M. hlindai^ Opt. Präs. nimau\ außerdem aber auch die langen Vokale im gedeckten Auslaut, d. h. wenn ihnen ein Konsonant (besonders -s) folgt (NPl. dagos^ gasteis — DPI. giböm^ ASg. managein — ASg. fahep^ 2. Sing. Prät. nasides). Im freien Auslaut hingegen sind Veränderungen eingetreten und zwar häufiger, wenn der Vokal von jeher im freien Auslaut gestanden hat (z. B. idg. -o), als wenn er erst durch germanischen Abfall von Konsonanten, also durch Dental- oder Nasalverlust (s.o. 1) Schulz, Abriß der deutschen Grammatik. 3 — 34 — in den Auslaut getreten ist (z. B. idg. -on, -6t > germ. -6). Wir unterscheiden diese beiden Fälle im folgenden als pri- mären und sekundären Auslaut. I. Im primären Auslaut sind die langen Vokale immer zu Kürzen geworden und zwar: a) -t zu -i z. B. urgerm. *piivt *huh(ndi > got. pitvi 'Dienerin', hulumii ''Kohle' {vgl. ai. hrhat-t 'die Große'). ß) -6 zu -ä (nur in einsilbigen Wörtern erhalten : so ßo) griech. cpepou 'trage' — urgerm. *berd — got. baira (griech. 0ed 'Göttin') — urgerm. *;(^ebd 'Gabe' — got. giba (vgl. so 'die' NSg. F.) lat. verba (für -ä) 'Worte' — urgerm. *wurdd — got. waurda (vgl. pö 'die' NPl. N.) In alten pronominalen Bildungen mit angefügtem -uh (lat. quis-que) oder -hun (lat. qui-cunque) sind mitunter noch die alten Längen, durch den Konsonanten geschützt, er- halten geblieben, z. B. got. hanoh 'jeden' — neben Ivana 'wen' got. Ivarjamh 'jeden' — neben pana 'den* got. ainöhun 'irgend eine' — neben aina 'eine' t) -e zu -ä mit einiger Wahrscheinlichkeit nur in dem Adverbialsuffix -na: lat. super-ne 'von oben' — got. üta-na 'von außen'. n. Im sekundären Auslaut sind die Längen teils als Längen erhalten, teils zu Kürzen gewandelt worden. a) -6 bleibt erhalten bei Nasal- und bei Dentalverlust (idg. -ö«, -öd) germ. Huggon 'die Zunge' — got. tuggö (: GSg. tuggöns) (griech. xujpuuv 'der Länder') — germ. *^ebdm — got. gibö 'der Gaben' lat. in-trä(d) 'innerhalb' — got. inna-prö 'von innen* — 35 — ß) -t bleibt erhalten bei Nasalverlust (idg. -tn). germ. *managtn *die Menge' — got. managei (:GSg. manafjeins), wird dagegen bei Dentalverlust verkürzt: lat. velit für *veltt 'er möge wollen' — got. mit 'er will' (neben wileis). y) -e bleibt ebenso erhalten bei Nasalverlust (idg. -em) (griech, \ukiu-v GPl.) — geTm.*da^e-m — got. dage 'der Tage', wird dagegen bei Dentalverlust (idg. -ef, -ed) zu -ä verkürzt: germ. *wnryjted (run. iimrte *er machte') — got. waürJita (:2. Sing, watirhtes) nach S. 52 germ. *xuaminet (vgl. got. Jvamme-h 'jedem') — got. hamma 'wem' nach S. 43. Vielleicht beruht freilich die Erhaltung des -e bei Nasalverlust in dem angeführten Falle noch auf einer älteren zweigipfligen Betonungsweise (Schleifton), so daß nur eingipfliges (gestoßenes) -en zu -ä verkürzt worden wäre (got. (/wwa : griech. iroi^riv); vgl. S. 86. § 7. Deklination. Eine vergleichende Betrachtung der Flexionssysteme der verschiedenen germanischen Dialekte führt keineswegs bei allen Formen auf gemeinsame Grundformen, und so ist die Aufstellung vollständiger gemeingermanischer Paradig- mata nur selten möglich. Wir beschränken daher unsere Betrachtung hier im wesentlichen auf das Gotische, das gerade auch in den Flexionsendungen eine hohe Altertüm- lichkeit zeigt und durch seinen verhältnismäßig gut erhal- tenen Vokalismus der unbetonten Silben den besten Ein- blick in die germanische Flexion und in ihr Verhältnis zu der indogermanischen Flexion gestattet. 3* — 36 — Die gewöhnliche Einteilung der germanischen Dekli- nation in A-Dekliuation , I-Deklination usw. beruht nicht auf Unterschieden der Flexion, sondern auf Unterschieden der Stammformen. Ein Wortstamm endigt entweder auf einen Yokal oder auf einen Konsonanten, und nach ihrem Auslaut unterscheidet man daher vokalische Stämme (z. B. daga- gasti- gibö- sunu-) und konsonantische Stämme (z. B. naht- hropar- guman-)^ die man dann unter sich als a- Stämme oder ««-Stämme, als w-Stämme oder r-Stämme bezeichnet 1). Der Wortstamm erscheint aber nicht in allen Flexiousforraen in gleicher Lautgestalt. Denn da, wie in § 3 und 5 angedeutet ist, zwischen den verschiedenen Formen eines Flexionssystems alte gemeinindogermanische Akzentunterschiede bestanden, so waren damit die Be- dingungen für die Entstehung von lautlichen Differen- zen gegeben, von Ablautsunterschieden und von gramma- tischem Wechsel. 1. Der grammatische Wechsel ist in der Yerbal- flexion sehr lebendig geblieben (vgl. § 5), dagegen in der NominaKlexion fast überall durch Systemzwang beseitigt. Nur in der Flexion der gotischen Zahlwörter *11' und *12' ainlif — ainlihim twalif — twalibe — twalibim ist noch der alte Wechsel f:b erhalten, denn das -f dieser Wörter ist nach Ausweis von ahd. einlif zwelif gemein- germanisch und nicht etwa gotische Auslautsverhärtung. 2. Auch der Ablaut ist besonders gut in der Yerbal- flexion erhalten (§ 3), doch zeigt auch die Nominalflexion zahlreiche Abstufungen der Stammvokale. *) Die Deklination der zahlreichen n-Stämme wird auch oft als 'schwache Deklination' der 'starken' der übrigen Stämme gegenübergestellt. — 37 — a) Der Vokal der eigentlichen Wurzel freilich ist im Gerraanisclien von Ablaut frei, auch bei den (wenig zahl- reichen) einsilbigen Stämmen, in denen etwa vorhandene Ablautsunterschiede durch Systemzwaug wieder beseitigt sind {haurg- naht- alh- reik-\ mit der einzigen (unklaren) Ausnahme fon 'Feuer' Gen. funins. Dagegen zeigen die einsilbigen Pronominalstämme noch viele Ablautsunter- schiede: ßi- Ivi- nii- i- (lat. is) pa- ha- mi- t- p6- hö- ij- (lat. e(J)a) b) Bei den viel zahlreicheren zweigliedrigen Stämmen zeigen sich dagegen viele Ablautsunterschiede im Vokal der zweiten (unbetonten) Silbe: (/aga- ansfi- sumi- hairtin- dagi- anstt- suniu- hairtan- dago- anstai- sunau- hairtön- gumin- brößar- blind a- fvarja- guman- hropr- hl'mdi- harji- blindo- fvarjö- An diese Stämme treten nun die Flexionselemente oder die eigentlichen Endungen der einzelnen Kasus, die jedoch für die Substantiva, Pronomina und Adjektiva nicht völlig übereinstimmen. A. Substantivdeklination. 1. Die gotische Deklination zeigt bei den verschie- denen Wortstämraen in der Mehrzahl der Kasus die gleichen Endungen. Wesentliche Unterschiede bestehen jedoch in der Bildung des Nom. Sing., für den drei Typen aufgestellt werden können: a) die gewöhnliche Xominativendung ist -8 (sunu-Sy dags für *daga-s, gasts für *gasti-s, reik-s baürg-s naht-s)j — 38 — das jedoch mit gotischem Stimmtonverlust im Auslaut (vgl. S. 27, 2) für urgerm. -z steht, ürgermanisch -z^ das freilich erst durch grammatischen "Wechsel aus idg. -s (lat. lujyus domu!>, griech. Xuko?) entwickelt ist, wird erwiesen: 1. durch gotische Formen mit angefügten Enklitiken, die das -z- erhalten haben; vgl. fvazuh 'jeder' : k>as 'wer', izei 'welcher' :is 'er'. IL durch die Vertretung im Altnordischen, das als JSTominativzeichen -r (aus -z nach S. 28) zeigt z. B. an. armr 'Arm', gestr 'Gast' usw. b) die o-Feminina und die konsonantischen r- und w-Stämme bilden den Nom. Sing, ohne Endung. Vgl. got. giba < *^ebd mit griech. eed 'Göttin', x^P^ 'Land' — anderer- seits got. hröpar tuggö hairfö < *brößer *tungön *hertdn mit griech. Trairip (: iraTepa), TT0i|Lir|v 'Hirte' (: iTOi|uevoq). Unklar ist die Nominativform der maskulinen w-Stämme: got. guma. c) die «-Neutra bilden nach gemeinindogermanischer Weise den NSg. wie den Akk. also auf -m, das im Germani- schen nach den Auslautgesetzen verklungen ist. Ygl. got. waiird < *wurdam mit lat. verbum. — Übrigens haben die Neutra auch im NAPl. eine abweichende Bildungsweise, indem der Stammauslaut als -ä (germ. -d) erscheint. Ygl. got. tvaurda < *wurdö mit lat. verba für *verbä. d) Nicht sicher erklärt sind die Nominative der voka- lischen ^'-Stämme: M. harjis 'Heer' — hairdeis 'Hirte', F. bandi 'Fessel'. 2. Die normalen Endungen, die im übrigen für alle Wortstärame gelten, sind am besten bei den z<-Stämmen zu erkennen und lassen sich (mit Berücksichtigung der Ablautsabtönungen des stammauslautenden Vokals) in fol- gendem Paradigma aufstellen: Sg.N. -s G. -s A. — D. — — 39 — PI. N. -s G. -e A. -ns D. -m Yon diesen Endungen zeigt nur die des API. die indo- germanische Lautgestalt unverändert (got. sunu-ns ent- sprechend griech. (dor.) Xuko-vi;), alle andern verlangen nach den Auslautsgesetzen und nach Ausweis der andern ger- manischen Dialekte eine vollere Lautgestalt als ältere Stufe, die dann zum Teil die gemeinindogermanische ist. a) GPL da(/e gibo müssen durch Nasal geschützt ge- wesen sein: urgerm. *da^em *^eb6m^ entsprechend griech. XUKUUV TTOTa|UUJV. b) DSg. nayand naht verlangen einen Vokal als Schutz des auslautenden Dentals; dieser war nach Ausweis der umgelauteten ags. Dat. fit {:föt% hreder {:brödor) -i: urgerm. *naxti, entsprechend griech. vukti Traxpi. e) DPI. dagam sununi verlangen ebenso durch Kom- bination mit ags. Bat ßcem tvcem eine ältere Endung -m/-, die auf Grund der inschriftlich bezeugten Dativform eines Göttinnennamens Saitchcnnimis (neben Aflims Vatvims) noch zu -miz ergänzt w^erden muß. Der Untergang des -z er- folgte wohl durch eine nach der «-Synkope (in 3. Silbe) erfolgte Assimilation von -mz > -mm^ -m. d) NPl. baürgs nasjands verlangen ebenso durch Kom- bination mit den angelsächsischen Umlautspluralen fSt bSc die Endung -iz: urgerm. *bur;^-iz run. doldriz entsprechend griech. vuKT-e(; Traiep-e«; (S. 11). Diese Endung ist wohl auch für die vokalischen Stämme vorauszusetzen und zwar wäre sie bei dagos gasteis gibös mit dem Stammauslaut kontrahiert, bei sunjus, aus *suniu-iz aber regelrecht synkopiert. e) ASg. aip gast verlangen einen Vokal als Schutz der auslautenden Dentale, dieser Vokal ist der alte Stammauslaut aipa-, gasti-] vgl. run. hoDui staina magu. Die eigentliche — 40 — Endung aber war -m (-n), das lautgesetzlich verklungen ist: urgerm. *widfa-n{-yn) = lat. Iwpu-m griech. Xuko-v. f) Die einheitliche gotische Endung des GSg. -s ist die lautgesetzliche Umgestaltung von drei verschiedenen Endungen (vgl. S. 81): I. Formen wie darjis gastis (run. godar/as) verlangen wegen des Synkopierungsgesetzes alte Dreisilbigkeit, also wahrscheinlich eine Endung -so: urgerm. *da^e-so steht am nächsten griech. Xukoio für *Xuko-s/o. n. Das Altnordische erweist alten (durch die gotische Auslautsverhärtung verschleierten) grammatischen "Wechsel einer Endung -z gegenüber -so durch seine beiden Geuitiv- enduugen -r und -s. Die Endung -s gilt bei a- und i- Stämmen [arms gests), -r dagegen für die ö-, ii- und r- Stämme: sogar {-.sog 'Säge'), heipar {:heißr 'Heide'), skialdar {■.skipldr 'Schild'), fpßor {: faßer 'Vater'). Also got. sunaus für *sunauz, gibos für *;t^eb6z entsprechend griech. xujpa-?- III. Das Genitiv-« der konsonantischen Stämme kann mit lautgesetzlicher Synkope für -az stehen: got. nahts für *naxt-az^ fadrs für *fadraz entsprechend griech. vuk- ibc, Txai^bc, (S. 32). Doch weisen daneben die alten angel- sächsischen Umlautsgenitive wie hec bg?'^ auf altes -iz. g) Der DSg. daga kann nach den Auslautsgesetzen auf urgerm. *da;t,e und *da;^6 beruhen, durch Vergleich mit ahd. tagu wird das letztere wahrscheinlich und die Form damit als alter Instrumentalis erklärt. 3. Ausgleichungen. Das gotische Formensystem zeigt neben diesen lautgesetzlichen Formen viele, die durch Ana- logie anderer zustande gekommen sind, a) Einfluß der a-Stämme. J. DSg. gasta nach daga für *gastai (wie anstai). II. GPl. gaste anste baurge gumane etc. nach dage (aber gihö tuggönö). — 41 — III. DPI. nasjandam nach dagam für *nasjandum (wie broßrum fadrum < *hrof)rTp, iür*broßnniz). Dagegen beruhen die DPI. gumam tuggom halrtam wohl auf alter Assimilation: *gi *gumammiz > gumam. b) Einfhiß der i-Stämme in DPI. haürglm nach rjastim für *haür(jHm (Avie hrofirum). c) Einfluß der M-Stämme in NPl. broßrjus nach smwjws statt *br6prfi. (wie nasjands), veranlaßt durch lautgesetzliche Übereinstimmungen zwischen konsonantischen und u- Stämmen im DAPl. (brdprum bröpruns wie sunu-m sunu-ns). d) Ausgleichung zwischen Nominativ und Akkusativ nach dem Muster der Neutra. I. A8g. giba nach dem NSg. giba (aus ^^eöo), statt *gibö aus germ. *^ebd-'m. IL API. gibös nach dem NPl. statt *gib6-ns. ni. API. baiirgs nasjands tuggöns gumans aus dem NPl. {-iz) statt *baurgims etc. (wie bröpruns) aus vorgerm. *bhjrgh-ns. B. Pronominaldeklination. 1. Die germanische Pronominaldeklination zeigt gegen- über der Substantivdeklination zunächst eine Reihe von Besonderheiten, die nicht flexivischer Natur sind: a) Die Formen eines pronominalen Paradigmas sind nicht immer von einem Wortstamm gebildet, sondern häufig sind verschiedene Wortstämme zu einem Paradigma vereinigt, z. B. ik — meina., tveis — unsara^ si — izös — ija^ sa — pis. b) Stammeserweiterung: einige pronominale Stämme erscheinen nicht durchgehend in der gleichen Lautgestalt (auch abgesehen von den üblichen Ablautsunterschieden — 42 — S. 37), sondern bald in einer einfachen, bald in einer er- weiterten Form. I. -z- als Stamraerweiterung in GSg. F. pi-z-6s, DSg. F. pi-z-ai, GPl. M. pi-z-e^ F. pi-z-o gegen- über GSg. M. P'i-s und in den entsprechenden Formen i-z-ös i-z-ai i-z-e i-z-6 gegenüber i-s (verglichen etwa mit dacje gihai : dagi-s) ist vielleicht der Rest eines zweiten Pronominal- stammes so-^ der mit te- oder /- in uralter Komposition (idg. *te-so-^ *i-so-) verbunden war; vgl. die entsprechenden ind. Formen: GSg. F. tä-syäs Dat. id-syäi,, GPl. M. ti-säm F. tä-säm. IL -/n/n- als Stammerweiterung in DSg.M. pa-mm-a ha-mm-a i-mm-a gegenüber API. M. pa-ns i-ns (verglichen etwa mit dagaidaya-ns) ist mit ähnlicher Erklärung vielleicht auf germ. -zm- zurückzuführen, das dann Rest eines Pronomi- nalstammes smo- sein könnte, der gleichfalls mit telto-, kvelkvo- oder i- in alter Komposition verbunden werden konnte (idg. *to-sm6-, *k¥o- smö-, *i-smö-)\ vgl. ind. DSg. M. td-smäi Abi. td-smäd. 2. Die eigentlichen Endungen hingegen sind bei den Pronomina zum großen Teil die gleichen wie bei den Sub- stantiva. Lautliche Unterschiede sind bei einigen Formen durch die Auslautsgesetze hervorgerufen, die beim Sub- stantiv die in 2. Silbe stehenden Endungen reduziert haben, während die einsilbigen Pronominalformen unverändert er- halten geblieben sind. So erklärt sich NSg. F. so neben giba (für *;^ebö) NPl. N. /o neben ivanrda (für *ivurd6\ dagegen mit gleicher Verkürzung ija < *ij6 — 43 — NSg. M. fvas neben dar/s (für *daga-z) is neben gasts (für *gasti-z). 3. Einzelne Endungen aber kommen nur in der Pronominaldeklination, nicht in der Substantivdekli- nation vor: a) ASg. M. fvana pana ina zeigt die Endung -na (gegen- über dem subst. -n), die nach Ausweis der enklitischen Formen hanöh fvarjanoh 'jeden* auf älterem -nö beruht. Das pronominale Anfügsel -o, was hier an die nominale Endung {-n) angetreten ist, ist in anderen Sprachen nicht nachgewiesen. b) Dasselbe Element -ö ist aber auch in den neutralen Formen ita pata angetreten (vgl. harjatöh 'jedes'), denn die eigentliche (nur pronominale) Endung war hier -t = idg. -d (lat. id quod illud istud). Neben den erweiterton Formen bestanden wohl ursprünglich auch solche ohne angefügtes -ö, die aber dann im Germanischen den auslautenden Dental verlieren mußten: lat. quod — germ. *x»at, got. ffa. c) DSg.M. -a in imma pamma hamma beruht (nach Ausweis von fvamme-h harjamme-h ainumme-him) auf älterem -e und stimmt dann mit den pronominalen Instrumentalen pe und fve überein. Die nominale Instrumental- (Dativ-) Endung ist demgegenüber (oben A 2, g) als -o ermittelt worden. Übrigens kann die pronominale Endung -e mit lautgesetzlichem Dentalverlust für *-et stehen und entspricht dann der indogermanischen Ablativendung *-ed, die in lateini- schen Adverbien wie altlat. facilimied, lat. bene male KiT*bened *maled erhalten ist. d) NPl.M. pa-i zeigt eine Endung -/, die auch in griech. Ol lat. istt Uli besteht. Dasselbe i-Element erscheint vor der gewöhnlichen Substantiveudung in DPI. M. paim [pa-i-m gegenüber pa-ns^ verglichen mit daga-m\daga-ns). — 44 — C. Adjektivdeklination. 1. Die Adjektiva können im Germanischen auf dop- pelte Weise flektiert werden: entweder rein substan- tivisch und zwar als «-Stämme (z.B. M. hlindhi- F. N. hlindon- wie (jumin- 'Mann', Uujgon- 'Zunge', hairton- 'Herz') oder nach einer gemischten, wesentlich aber mit der pro- nominalen übereinstimmenden Flexionsweise ^). 2. Die Übereinstimmung zeigt sich besonders in den auch in der Adjektivdeklination auftretenden pronomi- nalen Stammeserweiterungen {-2;- und -mm-). GSg. F. blindai-z-ös Avie ßi-z-ös DSg. M. blinda-mm-a wie pu-mm-a und Endungen (-m«, -to, -a, -ai) ASg. M. hlinda-na wie pa-na NSg. N. hlinda-ta wie pa-ta DSg. M. hlindamm-a wie pamm-a NPl. M. hlindai wie pai 3. Deutlich substantivisch (und nicht pronominal) sind dagegen a) die neutralen Nominative Singularis, neben denen die pronominalen Bildungen blindafa hardjata stehen, und (nach Ausweis des Althochdeutschen) wohl auch die NSg. M. und F.: N. blind wie waürd N. hardu wie faihu M. blinds wie dags M. hardus wie sunus F. blinda wie (jiba *) Wie bei den Substantiven wird auch bei den Adjektiven die N-Dekhnation häufig als 'schwache Deklination' bezeichnet, der dann die pronominale Adjektivdeklination als 'starke' gegen- übersteht. — 45 — b) der DSg.F. hlindal (wie gibai)^ der nur dann pro- nominal wäre, wenn man (dem griech. tr) entsprechend) einen DSg.F. *pai voraussetzen darf, der ohne die germa- nische Stamraeserweiterung -z- gebildet wäre {got.ßizai izai). § 8. Konjugation. Zu dem verbalen Formensystem stellt man gewöhnlich außer den eigentlichen, mit Personalendungen versehenen Yerbalformen (Verbum finitum) auch die Formen des In- finitivs, des Partizips und des Gerundiums (Verbum in- finitum). Aber diese Formen sind eigentlich vom Yerbal- stamm gebildete Nomina, die nur einen sekundären (wenn auch zum Teil sehr engen) Anschluß an das Verbum er- langt haben, und haben an der eigentlichen Verbalflexion keinen Anteil. Die Betrachtung ihrer formantischen Be- sonderheiten aber gehört richtiger in die Wortbildungslehre, und so beschränken wir uns hier auf die Betrachtung der eigentlichen Verbalformen, also auf die Formen des Indikativs, des Konjunktivs oder Optativs und des Impera- tivs. Auch bei diesen Formen sind noch viele Unter- schiede nicht flexivischer Natur, sondern beruhen auf Veränderungen des Wortstammes, die wür (wie bei der Nominalflexion) vor der eigentlichen Formenbildung be- trachten. A. Stammbildung. 1. Infolge alter Akzentunterschiede besteht in der ver- balen Stammbildung der grammatische Wechsel (vgl. § 5), der freilich im Gotischen durch einzelsprachliche Neuerung konsequent beseitigt (urgerm. *werpa7i- *ivarpa *wiirdumen *wurdanaz — got, ivairpan ivarp waürpum waürpans) und nur noch in zwei Verben erhalten ist: parf'ich bedarf* — Paürbnm, aih 'ich habe' — aigum. — 46 — 2. Aus gleicher Ursache bestehen Ablautsunterschiede in den Vokalen des (im Germanischen meist zweisilbigen) Verbalstammes: a) in der eigentlichen Stammsilbe, wie in halrgan- harg-haürgum^ (jreipan-fjraip-gripum usw. in festen Ablauts- reihen, die in § 3 S. 18 behandelt sind. b) in der zweiten (unbetonten) Silbe oder im stamm- auslautenden Vokal: nima- fraihna- nasja- fidlna- ninii- fraihni- nasji- fuUnö- 3. Stammerweiterungen liegen in folgenden Fällen vor: a) im Optativ stamm nimai- nasjai- ist der gewöhn- liche Stamm nima-^ nasja- durch ein z-Element erweitert, in Übereinstimmung mitgriech. Opt. qpepoi-iuev: Ind. (pepo-|iev. b) durch ein /-Suffix in Präsensstämmen wie hidja- 'bitten' (:Prät. hap)^ hafjan 'heben' (;.h6f\ tvahsjan 'wachsen* {■.w6hs\ -skapjan 'schaffen' {-.sköf} und in Stämmen wie nasja- 'retten* -tamja- *zälmien', merja- 'verkündigen', in Übereinstimmung mit lat. capio fach. Übrigens beruhen die im Gotischen zweisilbigen J-Stämme zum Teil auf älteren dreisilbigen, soweit sie zu vokalischen Nominal- stämmen gebildet sind z. B. lausjan 'lösen': /«ms 'los' d. i. *laiisi-ja-:*lausila- hauhjan 'erhöhen' : haiihs 'hoch' d. i. *hatihi-ja-: *hauhila hrainjan 'reinigen' : Ärams 'rein' d. i. *hraini-ja-: *hraini- Unkenntlich geworden ist das y-Suffix bei Verbal- stämmen wie got.srtyiö- 'salben' aus *salbd-ja- (zu geTm*salb6 'Salbe'), got. karö- 'sich kümmern' aus *karö-ja- (zu germ. *karö got. kai'a 'Sorge') und wohl auch bei — 47 — ßahalai- 'schweigen' < *ßaxeja- (= lat. taceö) witalai- *sehen* < *iviteja- (= lat. video) c) durch ein w-Suffix in Präsensstämmen wie got. fraihna- 'fragen' (:Prät. frah\ germ, *hakna- 'backen* (:Prät. *h6k\ vgl. ahd. barkan — hnoh), in Übereinstimmung mit lat. sperno sprevi 'verachte', griech. ödKvuj eöaKov 'beiße'. d) durch ein w-Infix im Präsensstaram standa- *siehe* (:Prät. stoß)^ in Übereinstimmung mit lat. tundo tutudi' stoße'. 4. Präteritalbildung. a) Die zur Bezeichnung der Yergangenheit dienende indogermanische Partikel e- (das griech. Augment) ist im Germanischen nicht erhalten; der Präteritalstamm ist da- her bei vielen Verben vom Präsensstamm nur durch den Ablaut unterschieden (s. o. Nr. 2). b) Dagegen ist die gleichfalls aus dem Griechischen bekannte Eeduplikation, d. h. das Vorschlagen einer Silbe, die aus dem Anlaut des Wortes und dem Vokal e besteht (XeXoma : Xeirnju), lebendig geblieben und besonders im Gotischen') vielfach zur Präteritalbildung verwandt: haUiald — haldan 'halten' saislep — slepan 'schlafen' haUiait — haitan 'heißen' haihop — höpan 'rühmen' Bei manchen Verben zeigt das Präteritum außer der Reduplikation auch noch Ablautswechsel des Stammvokals: letan 'lassen' — lallot saian 'säen' — saisö In den andern germanischen Dialekten haben diese Präterita weitgehende Synkopierungen und Kontraktionen ') Der Vokal der Reduplikationssilbe sollte im Gotischen in vielen Fällen t lauten : das ai (z. B. lailöt statt *li'l6t) ist aus den mit h- und r- anlautenden Verben verallgemeinert {haldan haitan redan), in denen idg. e lautgesetzlich erhalten blieb : haihald rai- röp (S. 12). — 48 — erfahren, die den alten Rediiplikationstypus zumeist völlig verwischt haben (z. B. got. haihait — as. het — alid. Ä/05 Äe>5, got. lailot — as. let — aiid. Ua?, lie^). Nur das Angelsächsische läßt die Reduplikation noch erkennen in Formen wie ags. heht 'hieß' zu hdtaii reord *riet' zu rcedan hole 'spielte' zu lacan. Ein im Gotischen untergegangenes redupliziertes Präte- ritum ist bei dem Yerbum 'tun' in den westgermanischen Dialekten erhalten: as. deda (zu döm\ ahd. teta (zu tuom). b) Erst in sekundärer Weise zur Vergangenheitsbezeich- nung verwandt ist ein indogermanisches Suffix -fo-, das (in vierfacher lautgesetzlicher Fortbildung) in den germa- nischen Dentalprä terita got. nasida 'rettete', munda 'meinte', kimpa 'kannte', waiirJtta 'machte', irissa 'wußte' (für *ivid-tam S. 26) erhalten ist^). Wie die daneben stehenden Partizipia {mnnda:mimds^ kunpcc.kunps^ waiirhta:-iraürhts) zeigen, galt dasselbe Dentalsuffix gemeinsam für den Stamm der Verba und der Verbalnomina, in gleicher Weise, wie neben einem griechischen Verbaladjektiv TT\eKTÖ(g 'geflochten' eine lat. Verbalbildung pledo 'flechten' steht (beide zu dem Primärstamm jjlec- in griech. uXeKou 'flechte', lat. ex-pUco 'entfalte'). Die ^>Bildungen waren also ursprünglich selb- ständige Verbalbildungeu, die in ihrer Bedeutung zwar den Primärverben immer sehr nahe standen (es bestanden wohl nur aktioneile Unterschiede: imperfektive gegenüber perfektiver Aktionsart u. ä.), aber doch erst in sekundärer Weise mit ihnen zu einem Formensystem verbunden worden ') Das Dentalpräteritum bezeichnet man auch häufig als das 'schwache' Präteritum und stellt ihm die ohne Suffix gebildeten Ablautsprätcrita als 'starke' Präterita gegenüber. Nach der Präte- ritalbildung teilt man dann auch die Verba in starke und schwache Verba ein. — 49 — sind. In einigen Füllen itönnen mit germanischen Dental- präterita geradezu außergermanische Dentalpräsentia ver- glichen werden, zu denen die germanischen Formen dann als alte Aoriste auf -om^ -es, -et gehören; vgl. got. *a(jda (Grdf. von olita) 'fürchtete' mit griech. d'xOoiuai (aus *a(fh-to-) 'gräme mich', ahd. skafta 'schöpfte' mit griech. aKdTTTUj 'behacke, grabe'. Natürlich konnte das Dentalsuffix ursprünglich au jede Verbalwurzel treten, sodaß eine Beschränkung auf die j- Verba (oder die sog. schwachen Yerba) zunächst nicht bestanden hätte. In der Tat zeigt auch das Germauische zahlreiche 'Dentalpräterita' zu Ablautsverben, und gerade diese machen als Wurzelbildungen den Eindruck hohen Alters z. B. got. brähta 'brachte' : hrigijan « *branxfu) paurfta 'bedurfte' : parf mahta 'konnte' : niaf/ skulda 'sollte' : skal ivissa 'wußte* : wait Freilich stehen auch neben /-Verben derartige Wurzel- bildungen got. brühta 'brauchte' : hrükjan ivaiü'hta 'wirkte' : iraiirkjan pähta 'dachte' : pagkjan aber die Masse der Bildungen zu J- Verben zeigt vor dem Dentalsuffix einen 'Mittelvokal', dessen Auffassung freilich umstritten ist: hauhida 'erhöhte' : haiihjan « *hauhi-jaii) salboda 'salbte' : S(db6n « *salbö-jan) habaida 'hatte' : haban « */tabai-jan) Vielleicht sind auch diese 'Dentalpräterita' ursprüng- lich selbständige Bildungen zu den Grundworten der zu- Schulz, Abriß der deutschen Grammatik. 4 — 50 — meist denominativen J-Verba, sodaß also die 'Mittelvokale' eigentlich die stammauslautenden Vokale der betr. Substan- tiva oder Adjektiva {hauhi/a-, saUw-) wären. Jedenfalls sind diese normalen Dentalpräterita erheblich jünger als die mittelvokallosen Bildungen. B. Formenbildung. In der gotischen Verbalflexion zeigen versciiiedene Endungen: 1. der Indikativ Präsentis, 2. der Indikativ des starken Präteritums und 3. der Indikativ des schwachen Präteritums. Die Optative stimmen mit dem 3. Typus überein, haben aber daneben einige nicht sicher erklärte Besonderheiten, in der 1. Sing, die Endung -au und in der 1. 3. PI. ein den Endungen angefügtes -a. Die Endungen des nur noch im Gotischen erhaltenen Duals bleiben hier unberücksichtigt. 1. Indikativ Fraesentis. Unter Berücksichtigung der Ablautsunterschiede des stammauslautenden Vokals ergeben sich folgende Endungen: Sing. 1. {-a) Plur. 1. -m 2. -s 2. -ß 3. -ß 3. -nd Nach den Auslautsgesetzen müssen diese Endungen eine ältere vollere Lautgestalt gehabt haben, die wir mit Hilfe der andern indogermanischen Sprachen feststellen können: a) 1. Sing, haira setzt ältere Vokallänge im Auslaut voraus: germ. *berö = griech. qpepuu, lat. fero. b) 2. Sing. baJris verlangt nach dem Auslautsgesetz ältere Dreisilbigkeit: germ. *beri-si entsprechend griech. (hom.) ia-a\ *du bist'. c) 3. Sing, hairiß und 2. Plur. bairiß verlangen einen Vokal als Schutz des auslautenden Dentals: germ. *beri-di entsprechend griech. ea-fi *er ist' und griech. qpepe-xe. — 51 — d) 1. Plur. hairam verlangt einen Vokal als Schutz des auslautenden Nasals : *Jera-w«2! entsprechend dor. viKÜj)iieg lat. ferimiis(gQrm.*ber(miz muß dann zu *beramm assimiliert sein). e) 3. Plur. halrand verlangt einen Vokal als Schutz des auslautenden Dentals: germ. *bera-ndi = griech. (dor.) cpepo-vTi. 2. Indikativ des starken Präteritums. Die gotischen Endungen sind folgende: Sing. 1. — Plur. 1. -m 2. -t 2. -p 3. — 3. -n a) 1. und 3. Sing, nam verlangen einen Laut als Schutz des auslautenden Nasals: germ. 1. Sing. *nam-a entsprechend griech. oib-a, 3. Sing. *nam-e entsprechend griech. oiö-6. b) 2. Sing, nanit verlangt einen Vokal als Schutz des auslautenden Dentals: germ. *namta entsprechend griech. oicr-9a. Die Endung -tha sollte im Germanischen normaler- weise als -*pa erscheinen, oder bei Wurzeln, die auf -t aus- lauten, mit dem Wurzelauslaut zu -ssa verschmelzen {*baupa 'bot' — *baussa, '^sata *saß' — *sassn., *banda *band' — *banssa nach S. 25,5); sie blieb aber bei den Wurzeln, die auf -6- aus- lauteten, in der Verbindung -s-tha (nach S. 23 b) vor allen Veränderungen geschützt (z. B. 2. Prät. las-t 'du sammeltest' laiis-t 'du verlorst* kaiis-t 'du wähltest') und wurde von diesen Fällen aus dann analogisch verallgemeinert, teils neu angefügt (z. B. baust 'du botest' statt *baus), oder an Stelle von -ß gesetzt {iiamt 'du nahrast' statt ^namp). c) 1. Plur. herum verlangt einen Vokal als Schutz des auslautenden Nasals: germ. *bärumen entsprechend griech. lb-^ev 'wir wissen'. d) 2. Plur. hemp ebenso als Schutz des auslautenden Dentals: germ. * 6« /v^de entsprechend griech. ea-ie 'ihr seid',, ic-ie 'ihr wißt'. 4* — 52 — e) 3. Plur. henm verlangt einen Laut als Schutz des auslautenden Nasals: germ. *bcerunp entsprechend avest. dad-at (für -nt) 'sie setzten', griech. ^qpepov (für *eqpepovT) *sie trugen*. In dieser Form (idg. Grdf. -*bhrnt) dürfte auch der u-Vokal vor dem eigentlich sonantischen Nasal der Endung am frühesten entwickelt und von da auch in die andern Formen übertragen worden sein. 3. Der Indikativ des schwachen Präteritums weicht in den Endungen nur im Singular vom starken Präteritum ab. Der Plural hat die gleichen Endungen, zeigt davor aber im G-ot. (nicht in den andern germ. Dialekten) ein auffälliges zweites -d- {nasi-de-d-nm)^ das durch Anlehnung des alten indogermanischen Dentalsuffixes -^o-, das in vielen Fällen lautgesetzlich als -da- erschien, an den Verbalstamm de- *tun' (idg. dhe- 'setzen', got. deps 'Tat') erklärt werden kann. Dieser Stamm hatte ein noch lange lebendiges redu- pliziertes Perfektum (altsächs.) deda dädun, von dem die Pluralform, bes. wenn sie komponiert auftrat wie in germ. *under-dädum (ahd. untartdtum)^ als Muster zur Erweiterung einer Form *nasidum zu nasideduni dienen konnte (vgl. eine ähnliche Erweiterung bei altlat. descendi-di nach con-didi). Die Singularendungen lauten im Gotischen: 1. (-a) 2. -s 3. -a, und von ihnen zeigt a) die 2. Sing, nasides die unveränderte indogerma- nische Endung -s in griech. eqpepe-g ^TiBn-i;. Dagegen muß in der b) 3. Sing, nasida der auslautende Vokal auf älterer Länge beruhen, die nach der 2. Sing, als -e- angesetzt werden darf (vgl. die Übereinstimmung des stammauslau- lautenden Vokals im Präsens 2. Sing, hairi-s 3. Sing, hairi-p), aber ursprünglich noch durch -t gedeckt gewesen ist. Dieses -t ist die eigentliche indogermanische Endung, die in ai. d-dadhn-t 'er setzte' erhalten ist. - 53 — c) Die 1. Sing, nasida des Gotischen ist nicht laut- gesetzlich entwickelt. Die ältesten Runeninschriften zeigen demgegenüber Formen wie tawidö 'machte' (got. taivüla), worahto (got. waürhta)^ faihidö *ich färbte, schrieb*, deren -6 wohl aus -6m entstanden ist und in der Endung -m zu lat. habeba-m^ a<ßba-m stimmt. Statt einer zu erwartenden Form *nasidö ist nach der 3. Person mmda durchgeführt, eine Ausgleichung, der die Übereinstimmung der ent- sprechenden Formen des starken Präteritums als Muster gedient hat. Aus dieser Übersicht ergeben sich für die indogerma- nische Stufe zwei Reihen von Endungen, die, einander ähnlich, als vollere und schwächere oder mit dem Aus- druck der indogermanischen Grammatik als primäre und sekundäre Endungen bezeichnet werden. Sing. Plur. Dieser Einteilung widerstrebt allein die primäre En- dung der 1. Sing., für die man dem sekundären -m ent- sprechend, -mi erwartet. Aber diese im Griechischen in Verben wie Ti0n-|Lii \Oj\\-\x\ biöuj-^i lebendige Endung hat sich im Germanischen nur bei den wenigen einsilbigen Verbalstämmen erhalten, im Gotischen nur in im (für *immi aus es-mi)^ im Althochdeutschen noch in tuom stäm ()dm. Sonst ist in Übereinstimmung mit dem Lateinischen und Griechischen überall die Endung -o durchgeführt, deren Ursprung nicht sicher ermittelt ist. — Außerdem bilden die Singularendungen des starken Präteritums eine besondere Reihe als ursprünglich indogermanische Per- 1. primär -0 — sekundär -m 0 15 -si — 11 -s 3. 11 -ü — 11 -t 1. ■)1 -mes ■ — 11 -men 2, 11 -te — 11 -te 3. 11 -nti — 11 -nt — 54 — fektendungen. Ohne Endung ist von jeher die 2. Sing, des Imperativs gebildet gewesen, in griechischen Formen wie cpepe TUTTie ist das -e nur der stammauslautende Vokal, der im Germanischeu apokopiert wurde: got. bcdr nim. Den Imperativen der j'-Verba (got. hausei sökei) liegen ältere Formen idg. *konseie *sä(/ew, germ. *hauseie *s6ke?e zugrunde. Die übrigen Formen des Imperativs sind nicht sicher erklärt. C. Unregelmäßige Verba. Die folgenden Verba zeigen Abweichungen von der im vorstehenden dargelegten normalen Stamm- und Formenbilduug. 1. Die Verba Praeterito-Praesentia: dies sind Verba, deren Präteritum (besser: Perfektum) präsentische Bedeu- tung hatte und daher das eigentliche Präsens verdrängte; z. B. tvait (zu -weitan 'sehen' in inweitan 'anbeten') urspr. *ich habe gesehen, ich weiß' — man (zu *minan^ vgl. lat. memini 'erinnere mich') urspr. 'ich habe mir etwas ins Ge- dächtnis zurückgerufen, ich meine, glaube'. Formell sind diese Verba in Stammbildung und Endungen normale Ablautspraeterita, von denenßarf — paürhum und aih — aigum sogar den grammatischen Wechsel bewahrt haben (vgl. § 5). Eine analogische Ausgleichung zeigt nur die 2. Sing, magt^ die lautgesetzlich (S. 24) ^maht heißen müßte. 2. Das Verbum 'sein', im Gotischen (doch vgl. S. 53) das einzige Verbum mit einsilbigem Verbalstamm (idg. es-), an den die Endungen unmittelbar antreten: Sing. 1. idg. es-mi (griech. eifii) — got. im 2. „ es-si ( „ iaax) — „ is 3. „ es-ti ( „ dcTTi) — „ ist Plur. 3. „ s-enti (dor. dvti für ^vti) — got. sind. Die übrigen Formen sind von anderen Stämmen ge- bildet und erst in sekundärer Weise mit den vom Stamm es- gebildeten zu einem Formensystem vereinigt; der Optativ — 55 — {sijau) deutet auf einen Stamm idg. siio-, der Infinitiv tvisan (und das Prät. iras) ist ein idg. Stamm *iieso-. Die andern germanischen Dialekte kennen in diesem Paradigma noch einen 4. Stamm: idg. *bhuiio- (lat. fui). 3. Das Verbum wi'/jan "wollen* hat im Indikativ Optativformen, von denen die 2. o. Sing, tvileis will genau den lat. velts velit entsprechen (zu dem Moduswechsel darf vielleicht an unsern positiv gebrauchten neuhoch- deutschen Konjunktiv ich möchte erinnert werden). Abschnitt IL Althochdeutsch, Literatur: Behaghel, Geschichte der deutschen Sprache (M911). Braune, Althochdeutsche Grammatik ('1911) — Abriß der ahd. Grammatik (M913) — Ahd. Lesebuch ("1911). Franck, Altfränkisclie Grammatik (19U9). Schatz, Altbairische Grammatik (1907). Wilmanns, Deutsche Grammatik I, III i, 2. Die Überlieferung der althochdeutschen Sprache be- ginnt um die Mitte des 8. Jahrhunderts, aber die Ausbildung ihrer lautlichen und flexivischen Eigenart ist zum großen Teil mehrere Jahrhunderte früher erfolgt. Einige der sie bedingenden Sprachneuerungen hat das Ahd. mit dem Altsächsischen, Friesischen und besonders mit dem Angel- sächsischen gemein, und diese gemeinwestgermani- schen Übereinstimmungen müssen notwendig vor dem 5. Jahrhundert entstanden sein, da um 450 durch die Auswanderung der Angeln und Sachsen nach der britischen Insel der enge Kontakt zwischen ihnen und den übrigen Kontinentalgermanen gelöst wurde, der die notwendige Vorbedingung für eine gemeinsame Durch- führung von Sprachneuerungen ist. — Andere Lautwand- lungen haben sich nur noch über das engere (hoch-)deutsche Sprachgebiet ausgebreitet, während die angrenzenden nieder- sächsischen und niederfränkischen Gebiete davon frei ge- blieben sind; durch diese Veränderungen, die besonders den Konsonantismus betreffen, ist die Ausbildung spezi- fisch hochdeutscher Laute erfolgt und der Gegensatz — 57 — von 'Hochdeutsch' und 'Niederdeutsch* entstanden. Der Beginn dieser sogenannten hochdeutschen Lautverschie- bung wird auf Grund der mittelhochdeutschen Namensform Etzel für den Hunnenkönig AttUa (f 454) etwa um 500 angesetzt, da bei einem früheren Eintritt der Name als '^Ettel hätte fortleben müssen, — Schließlich gibt es noch Lautwandlungen, die auch innerhalb des hochdeutschen Sprachgebiets nur einen beschränkten Geltungsbereich er- langt haben und also (vorübergehend oder dauernd) nur in Teilen des Sprachgebiets gelten: hierdurch ist die Ausbildung der neueren deutschen Mundarten erfolgt, besonders der Dialektgegensätze zwischen 'Oberdeutsch' (bairisch, alemannisch, ostfränkisch) und 'Mitteldeutsch' (rheinfränkisch, mittelfränkisch, thüringisch), die sich zum großen Teil bis in unsere Zeit erhalten haben. § 9. Vokalismus. Die Ausbildung des althochdeutschen Vokalismus ist bei den kurzen Vokalen und Diphthongen durch kombi- natorische Lautveränderungen erfolgt, bei den langen Vokalen dagegen durch spontanen Lautwandel. Sämtliche althochdeutsche Veränderungen des urgermanischen Vo- kalismus haben sich (wenn auch zum Teil erst in den folgenden Jahrhunderten) über das ganze hochdeutsche Sprachgebiet ausgebreitet. 1. Die Brechung oder der Velarumlaut der Extrem- vokale (d. h. der mit höchster Zuugenerhebung artikulierten Vokale) u und / durch A-Vokale der folgenden Silbe («, e oder o), eine gemeinwestgermanische (auch nordische), Lautveränderung, die jedoch bei u durch eine dazwischen stehende Nasalverbindung {-mm-^ -nih-^ -nn-^ -nd-^ -m/-, im Altsächsisclien und Angelsächsischen auch durch einfachen Nasal) gehindert wird. Außerdem wird aber die velari- — 58 — sierende Kraft der A -Vokale auch durch ein vorangehendes -j- aufgehoben (über die Verbindung -ja- vgl. S. 61 d). a) urgerm. ü > althochdeutsch o, durchaus regelmäßig; da urgerra. ö nicht vorhanden war (§: 2), ist jedes alt- hochdeutsche ö Brechung aus ü. Beispiele: urgerm. *indfaz 'AVolf — got. wulfs — ahd. ivolf urgerm. *jukmn *Joch' — ^ot juk — ahd. JoÄ urgerm. *duhter 'Tochter' — got. dai'ihtar — ahd. tohter urgerm. *sur^6 *Sorge' — got. saürga — ahd. sorga urgerm. *fvllön 'Fülle' — got. fiillö — ahd. volla urgerm. *budanaz 'geboten' — got. hudans — ahd. gibotan Dagegen bleibt ü bei dazwischen stehender Nasalver- bindung z. B. urgerm. '^munpaz 'Mund' — got. munps — ahd. mund urgerm. Hungön 'Zunge' — got.tuggö — ahd. zioiga urgerm. *bimdanaz 'gebunden' — got. htndans — ahd. gibunfan und ebenso, wenn dem A -Vokal ein -j- vorangeht: urgerm. *xtulxjam 'Stück' — sis. stukki — ahd.stiicki urgerm. *bni;^j6 'Brücke' — as. bruggia — ahd. brucka urgerm. *fuUjan- 'füllen' — as. fullian — ahd. fidlen b) urgerm. en > ahd. eo: als zweiter Bestandteil des Diphthongen eu wird ii in gleicher Weise zu ö gebrochen, jedoch gemeinalthochdeutsch nur bei folgendem Dental oder germ. /< (x). Durch einen weiteren Wandel des ersten Bestandteils e > i (S. 64) lautet aber das dem urgerm. eu entsprechende Lautpaar gemeinahd.: iu — io (spätahd. ie). ui-gerni. *bei(dan- 'bieten' — got. biiidcm — ahd. biotan — 59 — urgerm. *Peud6 *Volk' — got. piudn — ahd. deota urgerm. *f)eunön- \Iienen' — as. theotion — ahd. dionön urgerm. *leux{a)dam 'Licht' — got. Huhap — ahd. lioht Dagegen bleibt eu (ahd. m), -wenn dem A-Vokal -J- vorangeht: urgerm. *leuxtjan- 'leuchten' — got. liuhtjan — ahd. liuhten urgerm. *peudjan- 'deuten', eigtl. 'volksmäßig machen' — ahd. diuten Außerdem wird eu [iu) im Oberdeutschen auch durch folgenden Labial oder Velar (ausgenommen germ. h) geschützt, während das Fränkische hier regelrechte Bre- chung hat: urgerm. *deupaz 'tief — got. diups \ , , ' ^, .... , , ,. \ obd. Uuqcm urgerm. */eM3fm- lugen - got liugan'y^^^ • ^ urgerm. *seiikaz 'krank' — got. süiks w ' . , " [ irk. sioh c) urgerm. { > ahd. e in einer beschränkten Zahl von Beispielen : urgerm. *wiraz (lat. vir) 'Mann' — ahd. wer urgerm. *nistaz (lat. ntdiis < *ni-sd-os) 'Nest' — ahd. nest urgerm. *kuiuas (lat. vivus < *guiuos) 'lebendig' — ahd. quec ur gei-m.*bikaraz (Lehnwort aus lat. hicarus) 'Becher' — ahd. behhar. Daneben bestehen aber viele Fälle, in denen das alte i erhalten geblieben oder restituiert ist, in der Mehrzahl wohl infolge analogischer Einflüsse und Systemzwang: — 60 — ahd. (jisnitan 'geschnitten' nach snitum 'wir schnitten' ahd. wi^^an 'wissen' nach ici^^iim 'wir wissen' ahd. wissa^ wessa 'wußte' nach Konj.-Prät. icissi ahd. snüa 'Schnitte' nach snitum 'wir schnitten' ahd. bittar 'bitter, scharf nach hi^^um 'wir bissen' Andere Fälle, wie z. B. urgerm. *fiskaz — ahd. fisk, erklären sich Avohl zum Teil aus alten Nebenformen, in denen i lautgesetzlich erhalten bleiben konnte (z. B. urgerm. *fiskiz entsprechend lat. jmsci's). 2. Der eigentliche Umlaut oder der Palatalumlaut des kurzen urgerm. ä zu ahd. (geschlossenem) e durch ein / oder J a) der folgenden Silbe, soweit es nach dem Wirken der Auslautgesetze noch bestand (vgl. § 6), Der Umlaut ist also im Althochdeutschen erst nach der Zeit der Aus- lautgesetze (doch noch im 8. Jahrhundert) eingetreten, im Gegensatz zum Altnordischen und Angelsächsischen; vgl. ags. ^iest : ahd. r/ast, ags. streng : ahd. sträng (aus "^-^astiz *stran^iz). urgerm. *^astiz 'Gäste' — got. (jasteis — ahd. gesti urgerm. *farisi'du. fährst' — gotfaris — ahd. feris urgerm. *rapjd 'Berechnung' — got. rapjö — ahd. redia., reda urgerm. Viafjan- 'heben' — got. hafjan — ahd. heffen (s. u. d) Die palatalisierende Kraft des / wird durch voran- gehende volare und labiale Laute aufgehoben, besonders durch die Konsonantenverbindungen -ä^-, -hs- und durch Verbindungen mit -to- z. B. ahd. nidlitlg 'mächtig', wahsit 'er wächst', garwit 'er bereitet'. Im Oberdeutschen, das überhaupt zu velarer Artikulation und zu Lippenrundung neigt, wird die Umlautswirkung auch durch einfaches h (x) und durch r, l in Verbindung mit Konsonanten auf- gehoben, im Fränkischen dagegen ist in diesen Fällen der — 61 — Umlaut durchgeführt. Dalier stehen den oberdeutschen Formen lialtit altiro ivarmen slahit ahir fränkische Formen heltit eltiro wermen dehit ehir gegenüber. b) der dritten Silbe, nach vorangegangener Assimi- lation des Vokals der zweiten Silbe, doch nicht regelmäßig: ejjfili {-.ajjful), menigt {= got. managei). c) im Diphthong ai, der althochdeutsch als ei er- scheint; vgl. Nr. 3. d) in der Verbindung -ja- (in unbetonter Stellung), die zunächst wahrscheinlich -je- ergeben hat, aber schon im ältesten Althochdeutschen stets als -e- erscheint: NPl. hirte gegenüber taga aus *hirfja NSg. sunfe „ geba aus *simtja Infin. kennen „ got. kannjan Die andern Vokale zeigen im Althochdeutschen noch keinen Umlaut; nur bei li deutet die bei Notker (um 1000) auftretende Schreibung iu in Formen wie hiute 'Häute', chriuter 'Kräuter', Hüten 'tönen' für ahd. hüti krütir lüten {-Jan) auf den palatalisierten Lautwert w; vgl. unten Nr. 3 c. 3. Kontraktionen von Diphthongen. Die urgerma- nischen Diphthonge zeigen früh die Neigung zu einer An- gleichung ihrer beiden Bestandteile, bei der durchgängig der zweite Vokal die bestimmende Rolle spielt. So ist im Althochdeutschen in dem Diphth. ai das a palatalisiert und zu e 'umgelautet' (got. dails — ahd. teil\ in dem Diphth. au das a zu o labialisiert worden (got aiigo — ahd. ouga). Nach solchen Assimilationen konnte aber dann auch wieder der zweite Vokal dem ersten angeglichen werden, sodaß aus ei — e-e — e, aus ou — o-o — 6 wurde. Dieser Wandel, den wir gewöhnlich Kontraktion nennen, ist im Althoch- deutschen jedoch nur unter bestimmten Bedingungen ein- getreten : — 62 — a) iirgerm. ai > ahd. e vor gerra. /<, >*, w und im Aus- laut, sowie überall in unbetonten Silben (darüber S. 83). urgerm. '^aihfiz 'Besitz' — got. aihts — ahd. eht urgerm. Haizjan- Mehren' — (got. laisjan) — ahd. leren urgerm. *saiwal6 'Seele' — got. saiicala — ahd. sewln seula sela urgerm. *wai 'wehe' — got. ivai — ahd. we b) urgerm. au > ahd. 6 vor germ. Ä, allen dentalen Lauten und im Auslaut, sowie überall in unbetonten Silben (darüber S. 83). urgerm. *xanxaz 'höh' — got. hat(hs — ahd. höh urgerm. *daußuz 'Tod' — got. daußus — ahd. töd urgerm. Hausaz 'los' — got. laus — ahd. los urgerm. *laimam 'Lohn* — got. laun — ahd. Ion urgerm. *hauzjan- 'hören' — (got. hausjan) — ahd. hören urgerm. *kauliz 'Kohl' entlehnt aus lat. caulis — ahd. Jcol. Der «-Diphthong wurde also nur durch folgenden Labial oder Velar, d. h. durch die dem u verwandte Artiku- lationsstellung dieser Laute, geschützt. c) urgerm. eu geht in den Fällen, in denen es althoch- deutsch erhalten ist (s. o. Nr. 1, b), zunächst in in über urgerm. *leudtz 'Leute' — ags. Ihde — ahd. liuti urgerm. *dei(riz 'teuer' — ags. dhre — ahd. fiuri urgerm. *beudd 'ich biete' — ags. bSodu — ahd. biiitu Im Spätalthüchdeutschen des 10. Jahrhunderts tritt jedoch auch bei diesem Diphthong eine Kontraktion ein, der die Labialisierung des i vorangegangen ist {in > üh) und die schließlich ü ergibt. Der neue Lautwert des trotz- dem noch jahrhundertelang festgehaltenen Zeichens in er- gibt sich aus seiner Verwendung für umgelautetes ü, wo — 63 — nur der Monophthong [y] möglich ist (vgl. oben Nr. 2d S. 61). 4. Diphthongierung langer Vokale. Von den langen Vokalen haben e und 6 im Laufe des 9. Jahrhunderts einen nur auf hochdeutschem Gebiet durchgedrungenen charak- teristischen Wandel zu ie und uo erfahren. Voran ist wohl ein spontaner Wandel der Betonung gegangen, die aus einer gestoßenen zur schleifenden wurde und damit zu zweigipf- ligen e — ^r, o — ob führte. Die weitere Entwicklung beruht auf verschiedenartiger Veränderung der beiden Bestand- teile der so entstandenen Doppellaute: a) urgerm. e — ee wurde durch Differenzierung zu m, i(i (8. Jahrhundert), später wieder mit Assimilierung (Pala- talisierung) des a zu ie, das bis ins Mittelhochdeutsche die gewöhnliche Lautform ist. urgerm. *her 'hier' — got. her — ahd. Mar hier urgerm. *kenaz *Kien' — ags. cm — ahd. kian kien urgerm. *tegJ(( 'Ziegel' entlehnt aus lat. fegula — ahd. zimjal zk'gal urgerm. *spegla 'Spiegel' aus lat. specidum — ahd. spiagal spiegal vorahd. *het 'liieß' as. het (vgl. got. haihait nach § 8, S. 47) — ahd. hia^ hiei^ b) urgerm. 6 — ob wurde durch Differenzierung zu oa, ua (8. Jahrhundert), später wieder mit Assimilierung (Labia- lisierung) des a zu uo. Diese Lautform gilt etwa seit 900 allgemein, vorher nur im fränkischen Gebiet, während das Südrheinfränkische (Otfrid) und Alemannische ua, das Bay- rische sogar 6 festhalten. urgerm. ^broßer 'Bruder' — got. hröpar — ahd. hruoder urgerm. */o^ 'Fuß' — got. fotiis — ahd. fuo-^ urgerm. *;i^6daz 'gut' — got. göps — ahd. guot — G4 — c) Die übrigen langen Vokale urgerm. t und ü bleiben althochdeutsch unverändert und werden erst im 12. Jahr- hundert von einem ähnlichen Wandel betroffen wie ^, 6 {vgl. § 15), Ganz für sich steht aber urgerm. d, das als offener [e:] Laut anzusetzen ist, im Althochdeutschen aber überall als d erscheint. Dieser Wandel, der sich über das ganze germanische Gebiet (mit Ausnalime des Gotischen, das dafür e zeigt) ausgebreitet hat, hat wohl schon im 4. Jahrhundert begonnen. urgerm. *märiz 'bekannt' — (got. -mereis) — ruu. -mdriz — ahd. mdri urgerm. *sldpan- 'schlafen' — got. slepan — ahd. sldffan \\vgQvm..*rädan- 'bestimmen' — got. redan — ahd. rutan. 5. Die gemeingermauische Neigung zur Erhöhung von kurzem e zu / (vgl. S. 11/12) dauert auch in der einzel- sprachlichen Entwicklung des Althochdeutschen (und Alt- sächsischen) fort und führt von neuem zur Entstehung sekundärer i unter dem Einfluß des in der Zungenartiku- lation verwandten Exti-emvokals t^, sowohl wenn dieser unmittelbar folgte (im Diphthongen germ. eii > ahd. iu io 5. 58 b, S. 62 c), als auch wenn er in der folgenden Silbe stand : lat. jiecH 'Vieh' — germ. *fexn — ahd. fihu lat. Septem *7' — germ. *sebun — ahd. sibiin lat. fero 'trage' — germ. *berö — westgerra. *beru — ahd. birn Allerdings ist dieser Lautwandel nicht ganz konsequent durchgeführt (z. B. schwankt fihu — fehii)^ zumeist wohl aber nur analogisch gestört. Außerdem unterbleibt aber die Tonerhöhung, wenn dem u ursprünglich noch ein weiterer A-Vokal folgte, z. B. germ. *eburaz > ahd. ebiir (nicht *ibur). — 65 — § 10. Konsonantismus. Die spezifiscli hochdoutschoii Veränderungen des ur- gerraanisclien Konsonantismus pflegt man seit Jacob Grimm unter dem Namen der "Hochdeutschen Lautverschiebung" zusammenzufassen. Es liandelt sich dabei vor allem um eine Reihe spontaner Laatvvandlungen, die die urgermani- sclien Tenues betroffen iiaben, iiervorgerufeu (wie bei der ersten Lautverschiebung) durch eine Aspiration der ur- sprünglich unaspirierten Yorschlußlaute. Diese Aspiration, die sich über das ganze germanisclie Sprachgebiet aus- gebreitet hat, füiu-te im Hochdeutschen wiederum zur Assibilierung, dann zur Entwicklung von Affrikaten {p + /", t + s, k + x)i u"d unter bestimmten Bedingungen auch zu Spiranten {f 7, Ii). Gegenüber der ersten Lautverschiebung zeigt sich jedoch ein Unterschied zwischen der im Hochdeutschen jetzt entstehenden den- talen Affrikata [t + s\ und der für urgerm. / in § 3 (S. 20) vorausgesetzten vorgerm. Affr. [t + ß]. Dieser Unterschied beruht auf einer einzelsprachlichen Veränderung der gesamten germanischen Mundlage oder Artikulations- basis, die als Minderung der nach vorn gerichteten Zungen- bewegungen bezeichnet Averden kann. Hierdurch wurden alle Zungenspitzenlaute etwas weiter zurück gebildet, und so mußte besonders die Artikulation der dentalen Laute beeinflußt werden, denn aus interdentalen Lauten {p d) wurden nunmehr postdentale, aus postdentalen {t) alveolare, aus alveolaren palatale (.s > s). Die besondere Entwicklung der urgerm anischen dentalen Laute; die fast immer von der der gleichartigen Labiale und Velare abweicht, findet damit ihre Erklärung. 1. Die Tenuisverschiebung erfolgt in doppelter Weise je nach der Stellung der urgermanischen Tenues p f k: Schulz, Abriß der deutschen Grammatik. 5 — 66 — a) zu Spiranten {/" 5 h) im Inlaut zwischen Vokalen und im (Wort- oder Silbeu-)Auslaut nach Vokalen; und zwar entstanden zunächst Doppelspiranten {ff ^5 hh\ die jedoch im Auslaut vereinfacht Avurden. urgerm. ^skapcniaz 'geschaffen' — got. slvpans — ahd. -scaffan urgerm. *deupaz 'tief — got. diups — ahd. Hof urgerm. *eta)i- 'essen' — got. itan — ahd. eTj/m urgerm, *b6tö 'Besserung' — got. höta — ahd. hiio'^ urgerm. *brekan- 'brechen' — got. brikan — ahd. hrehhan urgerm. *Jukam 'Joch' — got juk — ahd. joh b) zu Affrikaten {pf, t + s ^ z, k + x = ch) in allen andern Stellungen, also im Anlaut und im Inlaut nach Konsonanten (nach l m n r und in den Geminaten pp tt kk\ vgl. unten Nr. 4). urgerm. *paid6 'Rock' — got. palda — ahd. pfeit urgerm. ^yjelpxm 'helfen' — got. hilpan — ahd. helpfan urgerm. *taiknam 'Zeichen' — got. taikn — ahd. zeihhan urgerm. *hertdn 'Herz' — got. hairto — ahd. herza urgerm. *skattaz 'Geld' — got. skatts — ahd. scaz urgerm. *kurnam 'Getreide' — got. kaum — ahd. chorn urgerm. *wt(rkjan 'wirken' — got. iraürkjan — ahd. wurchen urgerm. *sakkuz 'Sack' entlehnt aus lat. Saccus — got. sakkus — ahd. sac]i. Diese Veränderungen haben aber bei den verschiedenen Lauten einen verschiedenen geographischen Gel- tungsbereich: a) am weitesten reicht die Spirantenverschie- bung, die als das eigentliche hochdeutsche Kennzeichen. — 67 — gelten kann. Ihre nördliche Grenze (die sog. Benrather Linie: südlich von Aachen — Benrath — Düsseldorf — Kassel — Magdeburg) teilt das deutsche Sprachgebiet in das hochdeutsche und niederdeutsche Gebiet, Süd- lich von dieser Linie finden sich unverschobene p und t nur ausnahmsweise im Mittelfränkischen (Rheinprovinz und Westerwald) in den Wörtchen dat it wat und iq). b) von den Affrikaten erreicht den gleichen Umfang nur das z, dessen Grenzlinie ungefähr mit der Spiranten- linie zusammenfällt. Auch z {t + s) ist also ein nur hoch- deutscher Laut, der im Niederdeutschen in entsprechen- den Worten unmöglich ist (hd. zählen ndd. ver-tellen). Da- gegen kennt das Niederdeutsche ein durch Palatalisierung aus h entstandenes z z. B. in Eigennamen wie Foitzetidorp (aus Bokenthorp 'Buchendorf'), Zeven (aus Kivena\ Mözen (aus Moiklnga). c) die Affrikata pf gilt am weitesten in den Ver- bindungen -Ipf- und -rpf-^ für die (innerhalb des hoch- deutschen Gebietes) nur das Mittelfränkische -Ip- und -rp- erhalten hat, genauer nur das nördliche Mittelfränkische oder das sog. Ripuarische (nördlich von der Ahrmündung mit Bonn, Köln und Aachen). Es stehen sich also gegenüber gemeinahd. helpfan — mfrk. helpan gemeinahd. iverpfan — mfrk. iverpan wobei jedoch das hd. -Ipf- und -rpf- schon im 9. Jahr- hundert eine weitere Veränderung zu -//"-, -rf- erfährt, sodaß die Formen dann helfan, werfan^ dorf lauten. d) in allen andern Stellungen gilt/;/ nur im eigent- lichen Oberdeutschen, also dem Alemannischen, Bayrischen und Ostfränkischen, während schon das Rheinfränkische (die Talz'!) keine Verschiebung mehr kennt, also anl. ^> und die Verbindungen -mp- und -pp- erhält. Der ja/'-Laut kann daher als das eigentliche oberdeutsche Kennzeichen 5* — 68 — angesehen werden, seine nördliche Grenze (Saarbiirg — Bitseh — Germersheim a. Rh. — südlich Heidelberg — Miltenberg a. M. — östlich Fulda) teilt das hochdeutsche Sprachgebiet in ein mitteldeutsches und oberdeutsches Gebiet. Dabei bleibt jedoch das Ostmitteldeutsche (öst- lich einer Linie Rhön — Kassel) unberücksichtigt, das das p nach oberdeutscher "Weise entwickelt und jyf- sogar zu- meist noch weiter zu f- verschoben hat. Im Althoch- deutschen stehen sich also gegenüber: obd. pflifog — rheinfr. pluog obd. scepfen — rheinfr. 9,ceppen obd. stampfön — rheinfr. stampon. Nicht zu der modernen plpf-GiYQnzQ stimmt das Süd- rheinfränkische des 9. Jahrhunderts, wie es durch Otfrid von Weißenburg überliefert ist: während Weißenburg heut zum ^/"-Gebiet gehört, braucht Otfrid anlautende p- {phiag puzzi) neben inlautenden -p/"-, -mpf- {scephen gilimphan). e) den kleinsten Geltungsbereich hat die velare Affri- kata kx erlangt, die in altiiochdeutscher Zeit mit kh^ ch oder -cch- bezeichnet wird. Diese Schreibungen kennen aber nur noch alemannische und bayrisciie Sprachdenk- mäler, schon das Ostfränkische hat nur k (c). Es stehen sich also gegenüber: alem.-bayr. cJiorn :ostfrk. koni alem.-bayr. cliuenitoi :ostfr\i. qiicman alem.-bayr. decchan : ostfrk. deckan alem.-bayr. trinchan : ostfrk. trinkmi alem.-bayr. starchan : ostfrk. starkan Yon den heutigen Mundarten des oberdeutschen Gebiets haben die alte Affrikata kx nur das südliche Elsässische und das südliche Schweizerische (das Gebiet südlich des Bodensees mit St. Gallen) bewahrt; einen größeren Umfang hat die aus der Affrikata entwickelte velare Spirans x^ 69 — die im Tirolischen und im Hochalemannischen gilt bis zu einer Nordgrenze, die südlich von Breisach beginnend über St, Georgen — Staufen — Singen nach dem Bodensee führt. Verhindert wurde die Aspiration der Tenues (und damit jede Verschiebung) a) durch harte Spiranten (wie bei der ersten Laut- verschiebung, vgl. § 4, 3 b), sodaß in Verbindungen wie sf, ft, ht — sp — sk die Tenues im Althochdeutschen un- verändert erhalten sind und auch heute noch ohne Aspi- ration gesprochen werden. Der Zusammenschluß dieser Laute muß ein sehr enger gewesen und auch bei inter- vokalischer Stellung nicht gelöst worden sein, d. h. die Silbengrenze muß in der alten Zeit vor dem Spiranten gelegen haben (ahd. nu-hti^ mhd. neh-te). urgerm. *stainaz got. stains urgerm. urfferm. *;^a-stiz *lu-ftuz got. gasfs got. luftus ahd. stein ahd. (/(tst ahd. iuft urgerm. *fur-xtj((n- spinnan- 5^^.^. a-spo urgerm. ^skattaz urgerm. *fi-skaz urgerm. urgerm. got. fmir/itjan ahd. fiirhten got. spinnan ahd. spinnan ags. WS}) ahd. at^pa got. skatis ahd. scaz got. fisks ahd. fisc. b) bei t auch durch die unmittelbar folgende Zungen- vibration eines r (in der Verbindung tr\ die eine sofor- tige Lösung des ^-Verschlusses veranlaßt. urgerm. *tritvwd got. tri(/(/ivu ahd. trimm urgerm. *hlü-trisa got. hintris ahd. hliitres GSg. 2. Die stimmhaften Spiranten des Urgermanischen b d ^ zeigen auf dem ganzen westgermanischen Gebiet die Neigung, in Verschlußlaute überzugehen. Dieser Über- gang ist gemeinwestgermanisch durchgeführt nur bei c?, bei b und g aber nur in der Gemination {bb (/(/) und nach homor- — 70 — ganem Nasal {mh 7ig), schließlich bei b- auch im Anlaut (vgl. § 4 S. 27). Diese von Süden nach Norden fort- schreitende Veränderung wird im Hochdeutschen ver- stärkt durch eine gleichzeitige Neigung, bei den neu ent- standenen stimmhaften Verschlußlauten den Stimmton aufzugeben, und so entstehen: a) germ. ahd. f: diese neue Tennis ist fortan gleichwertig mit der einzig noch erhaltenen germanischen Tennis k und kann wiederum als charak- teristischer hochdeutscher Laut gelten. Freilich hat das gesamte Westmitteldeutsche statt der stimmlosen Fortis nur die stimmlose Lenis erreicht, und dieser Lautwert ist auch der älteren rhein- und mittelfränkischen Schreibung d (neben t) beizumessen: gemeinahd. tohter : rheinfrk. dohter gemeinahd. //ofe : rheinfrk. gode gemeinahd. Aew^i: rheinfrk. hendi gemeinahd. wolta : rheinfrk. wolda gemeinahd. wortes : rheinfrk. wordes gemeinahd. betti :i'hemirk. hetti (neben hetdi) b) urgerm. b 3, werden in der Gemination (westgerm. -hb- -gg-) auf dem ganzen hochdeutschen Gebiet zu -pp- -kk-^ wofür aber in althochdeutscher Zeit in fränkischen Denkmälern meist noch -hb- -gg- (neben selteneren -pb- -cg-) geschrieben werden z. B. alts. sibbia ahd. sippa (frk. sibbea sipbea) alts. mnggia ahd. mucka (frk. muggia mucgia) c) In den übrigen Stellungen {b- und -mb- -ng-) sind westgerm. h g vielfach zu stimmlosen Verschlußlauten (je- doch mit Lenisartikulation) geworden, dagegen sind inter- vokalisch und nach /, r die gemeinwestgerm. b und 3 in großen Teilen des Sprachgebiets (besonders in mitteldeut- schen Dialekten) als stimmhafte Spiranten erhalten, die — 71 — freilich im Auslaut den allgemeinen Stimmtonverlust er- leiden können. nifrk. bat — aber Jeven mfrk. hodiüi — aber selvo mfrk. iamhes — aber erve mfrk. glengic) — aber mach mfrk. san/aw- 'werden' — got. ivairpan — ahd. iverdan Der neuentstandene stimmhafte Verschlußlaut d wird später mit den aus germ. b 3 entstandenen b (j völlig gleich behandelt, d. h. er erleidet in Teilen des Sprachgebiets einen Verlust des Stimmtons, besonders früh natürlich im — 73 — Oberdeutscheu (vgl. das Notkerschc Gesetz S. 71). In der <,^emeinahd. Orthographie wird diesor Stinimtouverlust je- doch nur bei alter Geniinata -pp- ausgedrückt, die gewöhn- lich durch -U- (neben -dd-) vertreten ist: urgcrm. *mij)f)an got. mippan 'inzwischen* — ahd. mittunt 'soeben' urgerni. '"smipji) 'Schmiede' — ags. smippe — ahd. smiita b) Weniger markante Veränderaugen der andern ur- germanischen Spiranten f x s lassen sich durch Ver- gleichung mit den neuen (hochdeutschen) Spiranten ff hh 55 feststellen, wenn auch diese Vergleichung zumeist nur bei intervokalischer Stellung möglich ist. Dabei er- gibt sich für den velaren urgermanischen Spiranten x (ä) eine Absehwächung der Artikulationsenergie oder eine Verminderung des Reibungsgeräusches I. aus gelegentlichen Auslassungen (wie sean statt sf'han 'sehen', naisto statt nahido 'nächste'), die bei hochd. -lih- nie vorkommen {zcihhan, sprehhan). IL aus dem geringeren Widerstand, den germ. Ji der A-Brcchung von germ. eii im Oberdeutschen leistet im Gegensatz zu hochd. -/<-: obd. Höht (got. linhap), aber sink (got. siuks); vgl. S. 59. III. schließlich auch aus dem Verklingen des h- in den Anlautsverbindungen hl- hn- lir- luv- im 9. Jahrhundert, z. B. hlCd > tut, hring > Hm) usw. Trotzdem darf dem germ. -h- in diesen Fällen kaum der Wert eines bloßen Hauchlauts gegeben werden, da es an umlauthindernder Kraft (wenigstens im Oberdeutschen) dem hochd. -hh- nicht nachsteht (vgl. obd. sahhis — got. saka)i 'streiten' mit obd. (diir — got. ahs 'Älirc'). Richtiger wird man das hochd. -hh- als Fortisspiranten auffassen dürfen, dem dann das zur Lenis gewordene germ. -h- — 74 — gegenübersteht. Vor Konsonanten ist aber der alte Laut- wert des germ. h (x) sicher unverändert geblieben. c) Für den labialen urgermanischen Spiranten ^ läßt sich folgendes feststellen: I. urgerm. f war ursprünglich bilabialer Reibelaut, wie durch den Übergang der Lautgruppe -nif- > -ynpf- erwiesen wird (vgl. ahd. imphdhan imphindmi^ die freilich auch oft noch infindan oder intfindan geschrieben werden). Im 9. Jahrhundert zeigt sich aber in der "Verbindung -mf- eine Neigung zum Wechsel der Artikulationsstelle des Nasals (dentale statt labiale), und dieser Wechsel ist nur verständlich, wenn germ. f im Althochdeutschen labio- dentaler Reibelaut geworden war. ahd. fimf — finf (got. fimf) ahd. samfto — sanfto (as. säfio) Bei hochd. f ist dagegen die Verbindung -mf- (für -mpf-) viel beständiger und erweist damit für den hochdeutschen Spiranten bilabiale Engenbildung. ahd. (jilimflih {gilimpflili : ags. gelinipan 'sich zu- tragen') ahd. scimfen {scimjifen :nd. schimp 'Hohn') ahd. kemfo {kempfo = ags. cempa 'Kämpfer, Krieger'). IL Die beiden /* werden orthographisch auseinander- gehalten, indem für germ. /", wenn auch nicht konsequent, V geschrieben wird, für hochd. f {ff) dagegen nur f: ahd. zwival (got. tiveifls), aber grifnn (got. gre'ipan) ahd. avur 'wieder' (got. afar 'nach'), aber -scaffan (got. skapans) ahd. wolves (got. widfis), aber helfan {helpfan = got. hilpan) Diese Schreibung läßt erkennen, daß germ. f (wenig- stens intervokalisch und nach l, r) zur Lenisspirans ge- worden war, der dann (wie bei h) der neue hochdeutsche Laut als Fortis gegenüberstand; noch bei den mittelhoch- deutschen Dichtern ist ein Reim f/räven:s/äfen nicht zu- lässig. Dagegen wird im Auslaut stets -f geschrieben, sodaß in dieser Stellung germ. f seinen Fortiswert erhalten haben und mit hochd. f gleichwertig sein muß; dazu stimmen mittelhochdeutsche Reime wie htiof: schuof, hrief: lief. d) Der dentale urgermanische Spirant « ist von dem entsprechenden hochdeutschen Laut stets orthographisch unterschieden, da dieser durch z (5) bezeichnet wird. Beide Laute waren aber auch der Artikulationsstelle nach ver- schieden; das hochd. 5 wurde postdental oder alveolar ge- bildet, während germ. s palatal geworden war (vgl. oben S. 65) und daher später unter bestimmten Bedingungen leicht in den s-Laut übergeht (§ 13 B.). 4. Konsonantengemination. Die im Althochdeutschen bestehenden oder {im pf tz) vorauszusetzenden Doppelkon- sonanten oder Geminaten sind nur zum kleinen Teil allen germanischen Dialekten gemeinsam (z. B. urgerm. *fuUaz * ferro *swammaz *brinnan- *skattaz *bukkaz auf Grund von got. fulh fairra swamms hrinnan skatts^ an. bukkr)^ in der Regel nur den westgermanischen Dialekten. Diese "west- germanischen Geminaten" beruhen nach Ausweis des Goti- schen und Altnordischen auf gemeingermanischen Konso- nantenverbindungen und zwar auf Verbindungen (be- sonders der Tenues) mit solchen Lauten, die sowohl kon- sonantisch als sonan tisch auftreten können (J, «<;, /, r, m, n). Alle urgermanischen Konsonantenverbindungen ^) waren nun zwar, wie oben S. 69 gezeigt ist, ursprünglich feste Lautkomplexe und behaupteten ihren Zusammenschluß *) Viele urgermanische Konsonantenfolgen sind freilich nie Konsonantenverbindungen geworden, z. B. alle Folgen von Liquida oder Nasal und Konsonant z. B. urgerm. *y^el-pan- *bin-dan-. — 76 — aucli in intervokaliscber Stellung, sodaß die der Konsonanten- verbindung vorausgehende 1. Silbe stets eine vokalisch- auslautendc oder offene blieb (urgerm. *ma-\tiz *fi-skaz *hlH-traz *a-pluz^ nicht *max-tiz usw.) Jedoch durch die Auslautsgesetze verloren raanclie Kasusformen dieser Wörter den Vokal der 2. Silbe und wurden damit zu einsilbigen und zwar auf Konsonant endigenden Formen oder ge- schlossenen Silben (ahd. NASg. mahf fisc). Der dadurch gescliaffene Unterschied zwischen einer vokalisch (NPl. ma-hii fi-sca) und einer konsonantisch {mäht fisc) aus- lautenden Stammform in demselben Paradigma konnte sich aber natürlich nicht halten und wurde zugunsten der letz- teren ausgeglichen, d. h. auch in den zweisilbigen Formen wurde die erste Silbe zu einer geschlossenen gemacht, was nur mit einer Zerteilung der Konsonantenverbindung {mah-ti fis-ca) bewirkt werden konnte. Aber diese glatte Entwicklung war bei Konsonanten- verbindungen, die als zweiten Bestandteil einen auch sonan- tisch fungierenden Laut hatten {*hlü-traz *a-2)luz)j nicht möglich, denn hier entstand in den synkopierten Formen kein Silbenverlust — da die r, Z, n usw. silbeubildend wurden — und also auch nicht notwendig eine geschlossene erste Silbe (vorahd. *hlil-t)' *«-/>/). Trotzdem konnte wohl der starke Akzent der 1. Silbe (der ja überhaupt die Auslauts- reduktion veranlaßt hatte) eine stärkere Unterordnung des neuentstandenen Sonanten *) der 2. Silbe unter den der 1. Silbe, besonders einen engen Zusammenschluß zwischen dem Sonanten der 1. Silbe und den ihm folgenden Lauten veran- lassen und damit zu einer Verschiebung der Silben- *) Dagegen könnten Sonanten zweiter Silben, die schon ur- germanisch in dieser Funktion bestanden, eine selbst.ändigere Stellung bewahrt haben, sodaß z. B. vorahd. *ivini (aus *winiz) und vorahd. *kuni (aus *kunjam) nicht gleich behandelt werden konnten. — 77 — grenze führen. Denn auf diese Weise konnte sehr leicht die Neigung eintreten, in solchen reduzierten Formen den Anlaut der 2. Silbe über die eigentliche Silbengrenze herüber zu ziehen, sodaß auch hier eine konsonantisch schließende Stammform entstand. Dabei brauchte aber die alte An- lautsverbindung der 2. Silbe keineswegs zerstört zu werden (nicht *hlHt-f *ap-l), sondern der erste Konsonant konnte sowohl als Auslaut der ersten, wie als Anlaut der zweiten Silbe gesprochen werden, er wurde also recht eigentlich nach beiden Seiten hin 'verteilt' {^hlüt-fj' *ap-24) oder pho- netisch gesprochen, seine Artikulationsstellung wurde ver- längert, sodaß z. B. bei einem Verschlußlaut die Yerschluß- bildung die 1. Silbe endigte, die Verschlußlösung aber die 2. Silbe eröffnete und die Silbengrenze durch die Ver- schlußstellung selbst gebildet wurde (vgl. ital. notte tmppo stucco). Diese Teilung oder Gemination ist dann auch in die intervokalischen Stellungen eingeführt worden und hat all- mählich dauernden Bestand erlangt. Freilich ist sie aucii häufig durch andere Einflüsse wieder aufgeiioben worden, besonders stark durch die Neigung, Doppelkousonanteu nach langem Vokal zu vereinfachen (vgl. S. 25, 5). Im ein- zelnen gelten folgende Regeln: a) vor j werden alle Konsonanten außer r geminiert, doch sind bei Verben die dadurch entstandenen -U- -mm- -nn- -yg- -cid- häufig durch Ausgleichungen wieder beseitigt. Im Althochdeutschen ist der Ursprung dieser Geminaten dadurch verdunkelt, daß das -j- durch einzeldialektische Neuerung in postkonsonantischer Stellung überall (zuerst wohl vor palatalen Vokalen) beseitigt, allein nach r erhalten ist^). *) Diese Ausnahmestellung des r findet darin ihre Erklärung, daß Verbindungen von >■ -{-j (ebenso wie mit w, l, m) niemals den festen Zusammenschluß besaßen, der die Vorbedingung der Gemi- — 78 — urgerm. *kunjam 'Geschlecht' — got. kimi — as. kunni — ahd. kunni urgerm. *haljö 'Hölle' — got. halja — as. Jiellm — ahd. hella urgerm. *framjan- Vollbringen' (got. fram 'weiter') — as. fremmian — ahd. fremmen urgerm. *bidian- 'bitten' — got. hidjan — as. hiddian — ahd. bitten urgerm. *sibj6 'Sippe' — got. sihja — as. sihhia — ahd. dppa urgerm. *bru^jd 'Brücke' — got. brugja — as. briKjgia — ahd. hriicka urgerm. *skapjan- 'schaffen, schöpfen' — got. -skapjan — as. skepjncm — ahd. scepfen urgerm. *satjan- 'setzen' — got. satjan — as. settian — ahd. sezzen urgerm. *wakjan- 'wecken' — got. wakjan — as. wekkian — ahd. wecken. Diese Verdoppelungen haben gewöhnlich nur nach kurzem Vokal Bestand, doch zeigt das ältere Oberdeutsch auch Gemination nach langem Vokal, die sich freilich nur in vereinzelten Fällen erhalten hat. nation ist. Sehr früh (zum Teil freilich nur oberdeutsch) zeigen sich in r-Verbindungen Sekundärvokale [herije nerigen ferigum garawer farawa charal warum wurum), und diese deuten darauf hin, daß immer her-je, ner-jan etc., also das -r ebenso fest als Auslaut der 1. Silbe, wie das ./- als Anlaut der zweiten gesprochen wurde, so- daß ein Herüberziehen des -r über die hier schon früh fixierte Silben- grenze nicht stattfinden konnte. Damit erklärt sich aber gleichzeitig die besondere Erhaltung des -j- nach r, insofern es bei der auf- gestellten Silbentrennung als Silbenanlaut gar nicht schwinden konnte, ebensowenig wie sonst im Anlaut von Worten. Bei Gemi- nation dagegen (z. B. in Fällen wie *bit-tjen *zel-Jjen) bildete es post- konsonantisch Anlautsverbindungen, die sonst nicht geläufig waren und daher auch hier früh wieder beseitigt wurden {bit-ten zel-len). — 79 — iirgerm. *dailj((n- 'teilen' — got. dailjan — obd. teillan (gem.-ahd. teilen) iirgerm. *an^jan- 'zeigen' — got. aiigjan — obd. OHckdH (geni.-ahd. ou(jen) urgerm. *b6fjan- 'bessern' — got. botjan — alem. hüetze (ahd. buo^^en) urgerm. *slaij)jan- 'schleppen' — alem. sleipfe (ahd. sleiffen) urgerm. *baitj(()i- 'füttern' (engl, bait aus an. beita) — mhd. beitzen (neben beiden) urgerm. */ir^//yVm- 'heizen' (engl, heat) — mhd. heitzen (neben he'ri^en) b) vor / und r ist Gemination nur bei den Tenues p t k belegt. Auch bei diesen Geminaten ist der Ursprung verdunkelt, und zwar dadurch, daß diö alten Konsonanten- verbindungen überall durch Sekundärvokale getrennt sind: urgerm. *snutraz 'klug' — got. snutrs — ahd. snottar urgerm. ^akraz 'Acker' — got. akrs — ahd. achar urgerm. *apluz 'Apfel' — an. epli — ahd. apful (< *appid) urgerm. *kitlön- 'kitzeln' — an. kifla — ahd. kitzilon « *kittil6n) urgerm. *f<(kla 'Fackel' entlehnt aus vulgärlat. facla (für facula) — ahd. fdckia (nicht *faxla\). c) vor w ist Gemination nur bei Velaren belegt. Auch bei diesen Geminaten ist der Ursprung verdunkelt, und zwar dadurch, daß das ic {u) besonders vor dunklen Vokalen geschwunden ist: urgerm. *nakuadaz "tiackf — got. naqaßs — ahd. ttackot urgerm. *akuist 'Axt' — got. aqizi — ahd. ackus urgerm. *axuö 'Wasser' — got. aha — ahd. ahha — 80 — urgerni. *sexuan- 'selieii' — got. saüva)i — alid. seil Ji an d) vor w und w ist die Gemination zumeist wieder beseitigt (vgl. ahd. regem fadum): doch vgl. urgerm. "^^dntloiaz 'trocken' as. drulno dmkno Adv. ahd. trockan. § 11. Lautveränderungen in unbetonten Silben. Die urgermanischen Laute der unbetonten Silben zeigen im Althochdeutschen zum Teil andere Veränderungen als die der betonten Silben. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich dabei um stärkere Reduzierungen, die durch die Unbetontheit veranlaßt sind (vgl. S. oO), mitunter aber auch um die völlige Durchführung eines Lautwandels, der in betonten Silben nur unter bestimmten Bedingungen eingetreten ist. Schließlich sind in unbetonten Silben auch neue Vokale entwickelt worden. A. Auslautsgesetze. Die Auslautsveränderungen des Althochdeutschen stimmen zum Teil mit denen der übrigen westgermanischen Dialekte übereiu, sind aber sehr oft auch durch einzel- dialektische Neuerungen (besonders Ausgleichungen) zu andern Resultaten fortgeführt worden. 1. Konsonantische Veränderungen. a) urgerm. -z (got. -«, an. -r) ist (als r nach S. 28) nur in einsilbigen Worten erhalten (got. is — ahd. ir, got. has — ahd. iver^ got. iveis — ahd. ivir) und von hier aus in die Adjektivdeklination übertragen {ixhdi.hUnte)' neben hl'mt\ vgl. S. 90 a). Sonst ist urgerm. -z überall abgefallen : urgerm. *da^az 'Tag' — got. dac/s — an. dar/r ahd. t ahd. -ä: im NPI. M. got. dagos — ahd. fugd^ F. got. gibos — ahd. gi'ba^ GSg. got. gihos — ahd. gi'ba^ got. bUndaizös — • ahd. blintera^ got. izos — ahd. irrt, got ßizös — ahd. dera; abweichend ist der NPI. F. blinto sio dio : got. blind6.% vgl. S. 91 d. 2. urgerm. -6m (got. -6) > ahd. -ä: im NSg. F. got. tiiggö — ahd. zunga, N. got. ha(rt6 — ahd. herza^ ASg. F. geba bJinta dia — 1. Sing. Praet. run. womhto — ahd. nerita worhta. ■f) Eine abweichende Entwicklung zeigt die Endung des GPl. -ow, die im Ahd.-o (nicht -ä) lautet [tago^ zung6no — 86 — (got. fu[/g6nd\ dero, iro\ und die des NSg. der n-Masculina -6 (oder -d«), die im Altliochdeutschea gleichfalls als -ö (nicht -u oder -ä) erscheint (lat. Iiomo — ahd. gonio). Man erkliirt die Erhaltung der Vokalqualität daraus, daß das idg. -ö in diesen Fällen eine andere Betonung hatte, als in den unter a, ß gegebenen. Die litauische Sprache zeigt nämlich in den entsprechenden Formen Akzentunter- schiede, die man dort als 'Schleifton' und 'Stoßton' be- zeichnet (z. B. geschleifte Längen : lit. devu 'der Götter', akmü 'Stein' — dagegen gestoßene Längen : lit. F. NSg. gerä — API. geräs 'die guten'), und dieselben Unterschiede sind auch noch im griechischen Zirkumflex und Akut erhalten (griech. GPL eeuiv, API. eedg — NSg. 0ed, ASg. eedv). Wenn dar- nach dieser Unterschied als gemeinindogermanisch voraus- gesetzt werden darf, würde man idg. ASg. F. *ghehhÖm mit gestoßener Länge, dagegen G¥\.M.*d}ioghdm mit geschleifter Länge ansetzen können und aus ihnen einerseits ahd. geba^ anderseits ahd. tago herleiten. Der Schleifton oder die zirkumflektierende, zweigipflige Betonung der Länge hätte dann den Vokal besser geschützt als der Stoßton und seine Qualität oder Farbe erhalten. In derselben "Weise unter- scheidet man die NSg. der n-Stämme als stoßtonig bei Erhaltung des -n (griech. noiiuriv fiYejuujv), als sclileiftonig bei idg. w-Schwund (lat. Äomo, Vit akmü) und setzt demnach einerseits idg. *kerdÖn, anderseits idg. *ghdmö an, denen dann wiederum ahd. lierza und gomo entsprechen. Es ist aber bei dieser Erklärung nötig, got. guma von ahd. gomo zu trennen und dieses statt auf eine Grundform *ghdmö vielmehr auf eine Grundform *ghdmen zurückzuführen (griech. iroiiariv). B. Synkope von Mittelvokalen, In den Mittelsilben trugen lange Vokale häufig einen Nebenakzent und sind daher im Althochdeutschen zumeist — 87 — unverändert erlialten [salbota sal/f/e zmif/ono). Für die kurzen Vokale dagegen galt westgermanisch ein Synkopierungs- gesetz, das nach langer Stammsilbe kurze Mittelvokale beseitigte. Die Wirkungen dieses Gesetzes, das im Angel- sächsischen zumeist regelmäßig vollzogen ist, sind im Althochdeutschen besonders bei dem Mittelvokal -i- der schwachen Fräterita erkennbar, der bei langsilbigen ge- wöhnlich synkopiert wird; daher Jiofta aber ner'ita teilta denita lösta legita In der Deklination aber sind im Althochdeutschen ge- wöhnlich die Mittelvokale wieder analogisch restituiert z. B. GSg. heilages für *heilges nach NSg. heilag^ eiganes nach eigan usw. Doch zeigt dasWort ander noch korrekte Synkopierungen wie andres andremu neben seltneren anderes anderemu. C. Entstehung neuer Vokale. In unbetonten Silben stehen im Althochdeutschen (zum Teil in Übereinstimmung mit den andern westger- manischen Dialekten) viele Vokale, die urgermanisch noch nicht vorhanden waren und auf verschiedene Weise neu entwickelt sind. 1. Vor Liquiden und Nasalen, die durch Auslauts- reduzierungen silbisch geworden waren, sind sog. Sekun- därvokale entwickelt, die vor /, r, w als «, vor m aber als u erscheinen (Svarabhaktivokale, nach dem Ausdruck der indischen Grammatik): urgerm. '""fugluz — got. ftigls — ahd. fogal urgerm. *akraz — got. akrs — ahd. ackar urgerm. *taiknam — got. taikn — ahd. zeihhan urgerm. *cedmaz — vorahd. *ädm — ahd. ätum urgerm. *bösmaz — ags. bösm — ahd. htiosum — 88 — 2. urgerra. w (konsonantisches m), das durch Vokal- apokopieruugen silbcnbildend wird, erscheint althochdeutsch selten als -?/-, gewöhnlich als -o- iirgerm. *saiwiz 'See' — got. saiivs — vorahd. *seu- ahd. seu, seo (aber seires) urgerm. *garivaz '6ereit' — vorahd. *(jaru- alid. (jaro (aber garives) urgerm. '^garividö 'bereitete' — vorahd. ^garuta ahd. garuta^ garota. 3. urgerm. J (konsonantisches/), das durch Vokalapoko- pierungen silbenbildend wird, erscheint althochdeutsch als -i. urgerm. *Jiunjam 'Geschlecht' — got. kuni — ahd. kunni urgerm. *;w/dya2' 'mittler' — got. midjis — ahd.mittl § 12. Flexion. Unter Berücksichtigung der im vorigen Paragraphen behandelten Regeln kann man die meisten Formen der alt- hochdeutschen Flexionssysteme als Fortsetzungen der im Gotischen am besten erhaltenen urgermanischen Formen erkennen, wenn auch mitunter Analogiebildungen an die Stelle lautgesetzlicher Formen getreten sind. In einigen Flexionselementen stimmt freilich das Althochdeutsche nicht mit dem Gotischen, sondern nur mit den westgermanischen Dialekten überein. A. Deklination. 1. In der Substantivdeklination beginnt ein Flexi- onsverfall bei den wonig zahlreichen n- und r-Stämmen, die in immer Avachsendem Maße Endungen der a-Stämme oder i-Stämme annehmen. Außerdem treten noch folgende Ausgleichungen ein: a) die schon im Gotischen (S. 41) beginnende Er- setzung des API. durch den NPl. wird im Althochdeutschen 80 überall durchgeführt, sodaß die alte Endung -ns ganz be- seitigt wird und die beiden Kasus in allen Deklinationen gleiche Formen haben (XAPl. t((gä (jestl usw.) b) die entsprechende Ausgleichung im Singular ist nur bei den o-Femininen erfolgt, hier aber (umgekehrt wie im Gotischen S. 41) vom Akk. c/eba aus, der für eine zu er- wartende Nominativform *(jebu (ags. ^iefu) eingetreten ist. c) der GPl. geböno ist nach dem Muster der w-Feminina [zHugono) gebildet, statt *gl'bo oder *- -rh- über: gdh falb Milbe ;/erbni- v-1. S. 125). ahd. scerjo — mhd. scherje scher (je ahd. ferjo — mhd. verje venje ahd. Hlja (aus lat. liliu) — mlid. lilje lilge alid. kevia (aus lat. cavea) — mhd. kevje^ kevige mhd. metzjcere (aus lat. matiarius) — metzger metziger mhd. latwerje (aus lat. lactuarium) — lativerge b) Übergang" des Verschlußlauts g in der Umgebung heller Vokale zum palatalen Reibelaut, der dann besonders im Alemannischen leicht völlig schwindet und Kontrak- tionen veranlaßt. -igi- über -iji- zu -i- in mhd. Itt Sifrit btlite. -egi- über -eji- zu -ei- in mhd. leid leit, seite geseit, freist treit, eislich^ meide. 4. Auslautsveränderungen. a) Die Medien b d g werden im Auslaut und vor stimmlosen Konsonanten zu ^ ^ ä; verhärtet. Dieser Stimmtonverlust war auch im Althochdeutschen schon vorhanden (vgl. auch S. 71), wird aber im Mittelhoch- deutschen viel konsequenter bezeichnet z. B. gap : gebeti, nU : ntdes^i tac : tages^ neide : neigen usw. b) Konsonantenabfall: -;• nach langem Vokal ist verklungen z. B. in mhd. da wä hie, me aus ahd. dar war hier mer (erhalten in Komposita mhd. daran wärinne hierunder). c) Konsonantenepithese: ein t ist häufig nach den- talen Lauten (w, s), aber auch nach harten Spiranten anderer Artikulationsstellen entwickelt und im Neuhochdeutschen auch in den flektierten Formen beibehalten mhd. ieman — spätmhd. iemant iergen — iergent — 108 hd. icilen — spätmhd. wUent ackes — ackst bäbes — bäbest SllS — siist habech — habech hilf, hi'iffe — hiift^ hüfte. § 14. Flexion. Die mittelhochdeutsche Flexion ist die regelrechte Fortsetzung der althochdeutschen und ist von ihr nur durch die im vorigen Paragraphen besprochenen Abschwächungen der Yokale der unbetonten Silben unterschieden. A. Deklination. 1. Durch die Abschwächuug der althochdeutschen Vokale ä i ü in unbetonten Silben zu mhd. e gehen in der Substantivdeklination die meisten Unterschiede der althochdeutschen Klassen verloren, besonders in der Bil- dung des Gen. Dat. Akk, In diesen Kasus bleiben bei den verschiedenen Genera nur noch Unterschiede zwischen den alten vokalischen und den konsonantischen n-Stämmeu oder nach der üblichen Terminologie, die Gegensätze der starken und schwachen Deklination. Allen Geschlech- tern gemeinsam ist dabei nur der Unterschied in der Bil- dung des Akk. Sing., der bei allen starken Worten mit dem XSg. identisch ist, bei den schwachen dagegen die Endung -en hat im Gegensatz zu dem NSg. auf -e [böte — boteny zunge — zungen). In den andern Kasus gehen nur die Masculina und Neutra zusammen, die Feminina da- gegen haben besondere Flexionstypen erhalten. a) Die Masculina und Neutra der starken Deklination unterscheiden den Gen. und Dat. nach dem Typus Sing. tages tage — Flur, tage tagen, der durch die mittelhoch- — lon — deutschen Synkopiorungen auch als kils kil — kil kiln erscheinen kann. Die schwache Deklination hat dagegen überall die gleiciie Endung -en Sg. Cr. D. hoten^ herzen — PI. G. D. hoten^ hßrzen. b) Bei den Femininen hat der Haupttypus der starken Deklination (der alten o-Stämrae) auf lautgesetzlichem Wege den Gen. und Dat. zusammenfallen lassen, unterscheidet aber ihre P]ndungcn nach dem Numerus (Sg. G. D. je) stuont — stund niiechtern — nüchtern. 5. Labialisierung und Entrundung: während die Schriftsprache die Unterscheidung der Vokale mit und ohne Lippenrundung, besonders ö — e, // — i bewahrt hat, haben die Mundarten zumeist nur eine der beiden Artiku- lationsarten festgehalten. Dabei besteht folgender Gegensatz: a) Das Niederdeutsche und Mitteldeutsche kennt im ganzen nur die Spaltstellung oder Indifferenzstellung der Lippen, hat also die Lippeurundung aufgegeben. Daher werden hier — 121 — I. alle il ö zu i e entrundet: in der Schriftsprache ist diese Aussprache anerkannt in Aborten wie Kissen, Spritze, Pickel (mhd, küssen usw.) — Nerz (frühnhd. nörz). Ähnlich wird euiäu (d. i. \oe\) zu eilai [ae] z. B. schleifen, streifen, erzeiijen (mhd. slöiifen usw.). IL in älterer Zeit ü il häufig auch zu ö ö entrundet: dieser Wandel ist in der Schriftsprache besonders vor n (und m) anerkannt z. B. Sohn Sonne Wonne sonst Sommer — Könii-Masculina erhalten, bei den übrigen führte der konsonantisch endigende NSg. {-en) einen Anschluß an die starken Masculina (mhd. tac — far/cs, genauer an die zweisilbigen iragen — icagenes)., und so entsteht die neuhochdeutsche Flexion Haken — Hakens gegenüber mhd. hake — haken. b) Bei den starken Femininen wurde im Plural (mhd. NAPl. (jebe — (feben) die Endung -en in allen Kasus durch- geführt {xi\\([. Gaben) und damit eine Vermischung der starken — 128 — mit der schwachen Deklination veranlaßt. Auch die schwa- chen Feminina nahmen nämlicli im ganzen Sing, starke Endungen au (mhd. zungen vroiiweti — nhd. ZinKje Fniu{e\ sodaß nun ein einheitlicher femininer Deklinationstypus entsteht, der den Sing, stark, den Phir. aber schwach bildet. 3. Numerusunterscheidung: auf analogischem Wege wird besonders auch eine deutliche Untersciieidung vou Singular und Plural in solchen Deklinationsklassen geschaffen, in deuen die Numeri lautgesetzlich ähnliche Formen hatten. Damit Avird besonders die Endungslosigkeit der alten Neutral- plurale beseitigt. a) das Plural-ß der starken Masculina wird seit dem 12. Jahrhuudert (zuerst in mitteldeutsciien Dialekten) auch auf viele Neutra übertragen (NPl. Worte — mhd. ivort). b) das (umlautwirkende) Plural-rr (ahd. -Ir) gelangt bei den übrigen Neutra zur Herrschaft (nhd. Fässer Lichter Kinder — mhd. vccz, Hecht kint)^ seit dem 14. Jahrhundert aber auch bei einigen Masculina z. B. Geister Würmer Leiber — mhd. c/eisfe würme leibe. c) der Umlaut als Pluralkennzeichen wird von den alten /-Stämmen (mitunter schon mittelhochdeutsch) auch auf die zweisilbigen, meist mit den Suffixen -er -el -en gebildeten a-Masculina (mit umlautsfähigem Vokal) über- tragen, die lautgesetzlich in beiden Numeri die gleiche Form liatten (mhd. vo//f/ — ro(/d{e):n\\d. l''o(/el:Vö(/eJ). Die gleiche Numerusunterscheidung war bei den alten kon- sonantischen Stämmen schon im Mittelhochdeutschen durch- gedrungen (ahd. fater — fater(a): mhd. vater — veter, ahd. muoter — muoter{a):n\\\d. miiotor — niüeter). d) der Umlaut als Pluralkennzeichen wird aucii auf viele andere a-Masculina übertragen ; z. B. stehen die neu- hochdeutschen Umlautsplurale Böcke Höfe Wölfe Stäbe Träume den mhd. Plur.Z*oc/t